Danach
Aber ich sprach weiter in der Hoffnung, schnell an die Informationen zu kommen, die ich brauchte. Adele hatte ihre Schritte nach wie vor nicht verlangsamt, also sagte ich den entscheidenden Satz, mit dem ich sicher war ihre Aufmerksamkeit zu erregen.
»Ich schreibe meine Dissertation über Jack Derber.«
Sie blieb wie angewurzelt stehen und sah mich misstrauisch an.
»Zu diesem Thema habe ich nichts zu sagen. Wer ist Ihr Doktorvater? Wer auch immer es ist, er hätte Sie nicht zu mir schicken dürfen.« Sie stand abwartend da und schien es gewöhnt zu sein, dass jede ihrer Fragen sofort beantwortet wurde. Eine derart heftige Reaktion hatte ich nicht erwartet. Offenbar war sein Name immer noch ein Reizthema für sie, obwohl sie damals so viel innere Stärke bewiesen hatte.
Ich hatte gehofft, ihr nicht meine wahre Identität preisgeben zu müssen, mich hinter der Anonymität meines Decknamens verstecken zu können. Meine tragische Vergangenheit war ein unwillkommener Umweg, ein Nebenschauplatz, der nur vom Wesentlichen ablenkte. Ich wollte nicht zum tausendsten Mal meine Geschichte erzählen müssen, aber Adele verengte argwöhnisch die Augen. Im besten Fall kaufte sie mir meine Story nicht ab, und im schlimmsten marschierte sie schnurstracks ins Büro des Unipräsidenten, um meiner vermeintlichen Doktorarbeit ein schnelles Ende zu bereiten.
Ich erstarrte. Adele wartete noch immer auf eine Antwort, aber ich hatte keine. Zehn Jahre lang hatte ich niemandem, der mich nicht kannte, erzählt, wer ich wirklich war. Ich hasste es, mich hinter einem falschen Namen zu verstecken, aber nur so fühlte ich mich sicher.
Leider ließ sich Adele nicht so leicht täuschen wie andere. Der Name Jack Derber hatte sie sofort auf der Hut sein lassen. Und da ich keinen Plan B hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als Farbe zu bekennen.
Ich holte tief Luft.
»In Wirklichkeit heiße ich gar nicht Caroline Morrow, und ich studiere auch nicht hier. Mein Name ist Sarah Farber.« Überrascht nahm ich zur Kenntnis, wie gut es sich anfühlte, es laut auszusprechen. Selbst unter diesen Umständen.
Adele sah mich bestürzt an, sie hatte den Namen offenbar sofort erkannt. Ich konnte nur darüber spekulieren, welche Erinnerungen er in ihr heraufbeschwor. Für einen kurzen Moment wirkte sie unsicher, aber dann hatte sie sich wieder im Griff, legte ihren Bücherstapel auf dem Boden ab und beugte sich zu mir.
»Beweisen Sie es«, sagte sie herausfordernd.
Das war nicht schwer. Ich hob mein T-Shirt an und schob den Hosenbund leicht herunter, damit sie die Haut über meinem linken Hüftknochen sehen konnte. Dort war in rot vernarbtem Fleisch das Brandzeichen zu sehen.
Adele schluckte hörbar und bückte sich schnell, um ihre Bücher aufzuheben. Ihr Blick schoss in alle Richtungen, und sie wirkte plötzlich fast ängstlich, so als würde ich meine schreckliche Vergangenheit in einem Bündel mit mir herumschleppen, aus dem jederzeit der leibhaftige Jack Derber springen konnte.
»Kommen Sie mit«, forderte sie mich auf. Sie ging eilig voran und schwieg eine ganze Weile, den Blick starr nach vorne gerichtet. Während meiner jahrelangen Isolation hatte ich zumindest teilweise die Fähigkeit eingebüßt, menschliche Gesichtsausdrücke einzuschätzen, und dieser Verlust machte sich nun bemerkbar. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was ihr gerade durch den Kopf ging. Aber lag das wirklich an mir, oder war diese Frau auch für andere undurchschaubar? Ihr Gesicht war so starr, als wäre es aus Stein gemeißelt.
»Wie … wie geht es Ihnen?«, fragte sie schließlich ein wenig steif. In ihrer Stimme lag nicht das geringste Mitgefühl. Es schien, als sei ihr gerade erst eingefallen, dass in so einer Situation ein Anflug von Menschlichkeit angebracht war.
Obwohl die Frage jede Wärme vermissen ließ, löste sie Erleichterung in mir aus. Mit Erkundigungen nach meinem Befinden kannte ich mich aus, schließlich hatte man mich jahrelang nichts anderes gefragt. Entsprechend routiniert klang meine Antwort: »Oh, mir geht’s gut. Nichts, was zehn Jahre Therapie und selbsterwählte Isolation nicht wieder hingekriegt hätten.«
»Wirklich?« Plötzlich war ihr Interesse geweckt, und sie drehte sich endlich zu mir um. »Keine Angstzustände? Keine Depressionen? Keine Flashbacks oder nächtlichen Schweißausbrüche?«
Ich wich ihrem Blick aus und verlangsamte die Schritte. »Deswegen bin ich nicht hier. Keine Sorge, ich bin in professioneller Behandlung
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