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Danach

Danach

Titel: Danach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koethi Zan
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lebhaft vorstellen, dass sie insgeheim fast genauso viel Angst vor Jacks Freilassung hatte wie ich, schließlich hatte sie seinen Lehrstuhl übernommen, sein Büro. Das gefiel ihm sicher überhaupt nicht.
    »Erzählen Sie mir ein bisschen was über diesen Club«, bat ich. Bisher hatte ich kaum gewagt, zu dem Gebäude hinüberzublicken. Als ich es nun doch tat, war der Anblick nicht dazu angetan, mich zu beruhigen. Das Gebäude war niedrig und fensterlos, hatte nackte Wände aus grobem Beton und ein flaches, rostiges Blechdach. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es der Brandschutzverordnung entsprach. Über der Tür blinkte in orangefarbenen Neonbuchstaben der Name des Clubs: Gruft. Bezaubernd.
    »Na ja, zunächst einmal«, begann Adele, »sollte ich vielleicht erklären, dass hier BDSM praktiziert wird. Wissen Sie, wofür diese Abkürzung steht?«
    »BD…?«
    »Bondage, Disziplin, Sadismus, Masochismus. Das klingt schlimmer, als es in Wirklichkeit ist. Beim echten BDSM gibt es Regeln. Äußerst strenge Regeln. Wichtigster Grundsatz ist das Einverständnis aller Beteiligten. Damit hat sich Jack von Anfang an schwergetan. Angeblich hat er immer wieder gegen Regeln verstoßen, so gravierend, dass er irgendwann Hausverbot bekam. Es hat ihn einfach nicht geil gemacht, wenn sein Gegenüber die Misshandlung oder Bestrafung ebenfalls wollte. Wahrscheinlich hat er Sie und die anderen Mädchen deshalb entführt …«
    »Diese Information macht es mir nicht unbedingt leichter, in diesen Club zu gehen.«
    »Sollte sie aber. Was ich damit sagen will, ist, dass Ihnen in diesem Club absolut nichts passieren wird, solange Sie es nicht selbst wollen. Nicht das Geringste. Es wird Sie noch nicht einmal jemand berühren ohne Ihre ausdrückliche Zustimmung. Ich war jahrelang immer wieder wegen meiner Feldstudien hier, ohne dass sich je irgendjemand an mir vergriffen hätte.«
    Ich konnte mir einen Blick auf ihre Latexaufmachung nicht verkneifen. Kein Wunder, dass die Leute sie in Ruhe ließen. Sie sah verdammt einschüchternd aus.
    »Okay, aber wenn Jack hier Hausverbot hatte, was soll ich dann hier? Was habe ich davon?«
    »Der Club ist der einzige Ort, an dem Sie mit Menschen sprechen können, die Jack gekannt haben. Wirklich gekannt haben. Auf die Weise können Sie dorthin vordringen, wo die Polizei nie war. Die Stammgäste kommen seit vielen Jahren in diesen Club, weil er das einzige Etablissement seiner Art im Umkreis von hundertfünfzig Kilometern ist. Jedes Mitglied der BDSM-Bewegung kommt früher oder später hier vorbei.«
    »Ich glaube, das macht mir am meisten Angst. Wer sind diese Leute?«, fragte ich angewidert, bevor ich mich bremste, weil mir aufging, dass auch Adele zu ihnen gehörte. Denn wie lange konnte man diese Leute erforschen und bei ihnen ein- und ausgehen, sich wie sie kleiden und in die Szene eintauchen, ohne irgendwann ein Teil von ihr zu werden? Mühsam suchte ich nach einer neutraleren Formulierung für meine nächste Frage. »Welchen Nutzen ziehen die Kunden dieses Clubs aus ihrer … ihrer Lebensweise?«
    Sie lehnte sich nach hinten gegen das Auto und seufzte. »In meiner Doktorarbeit bin ich ebendieser Frage auf den Grund gegangen. Paraphilie und ihre Beweggründe. Sie müssen sich das so vorstellen«, erklärte sie und war plötzlich ganz ernst. »Die Leute hier wollen im Prinzip dasselbe wie jeder andere auch: Gemeinschaft, Bindung, vielleicht einen kleinen Nervenkitzel. Es gibt nun mal Menschen, die anders gepolt sind, die abgestumpft sind gegen das Gewöhnliche. Manche haben das Bedürfnis, irgendetwas zu kompensieren, vielleicht etwas zu reparieren, was kaputtgegangen ist. Andere haben den Wunsch nach neuen Ausdrucksformen.«
    Ich dachte kurz nach und beschloss dann, die Frage zu stellen, die mir wirklich auf der Zunge brannte. »Und für Sie? Ist die Szene für Sie tatsächlich nur ein Studienobjekt, oder …?«
    Sie verzog den Mund flüchtig zu einem schiefen Lächeln, bevor sie sich auf die Lippe biss – ziemlich heftig, wie ich fand. Dann strich sie sich mit beiden Händen eine Locke zurück, die sich gelöst hatte, und verstaute sie geschickt wieder in ihrem Haarknoten.
    »Kommen Sie, gehen wir rein«, sagte sie schließlich und ließ meine Frage unbeantwortet. Sie stieß sich vom Auto ab und wies mit dem Kopf in Richtung Einkaufstüte.
    Ich blickte zögernd zwischen ihr und der Tüte hin und her, wusste aber, dass es Zeit zum Aufbruch war. Nachdem ich all meine Entschlossenheit

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