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Danach

Danach

Titel: Danach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koethi Zan
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erklärt, wie viel wir gemeinsam hatten. Doch stattdessen saß ich wie gelähmt da.
    »Raven, du darfst dich hinsetzen«, sagte Piker zu ihr.
    Eilig rutschte sie neben ihm auf die Sitzbank und blickte ihn aufmerksam an, in Erwartung seines nächsten Befehls.
    Piker streckte die Hand aus und öffnete den Reißverschluss vor ihrem Mund. »Sprich.«
    Die dunklen Ringe um Ravens Augen und die Fältchen um ihren Mund verrieten, dass sie schon auf die fünfzig zugehen musste. Einer ihrer Vorderzähne hatte eine silberne Krone, und der andere war abgeschlagen. Kriegsverletzungen, vermutete ich.
    Ravens Blicke schossen unruhig zwischen Adele und mir hin und her. Mir war unklar, ob ihre Nervosität am Thema lag oder doch nur daran, dass sie es nicht gewöhnt war, sprechen zu dürfen. Schon nach wenigen Sätzen wurde die Antwort offensichtlich.
    »Ich habe ihn hier in diesem Club kennengelernt. Vor über fünfzehn Jahren. Damals hat man sich gegenseitig nicht seinen echten Namen verraten, das war so üblich.« Sie hielt inne und drehte sich zu Piker um, der ihr mit einem Nicken bedeutete, dass sie fortfahren sollte. Er wollte unbedingt, dass diese Geschichte ans Licht kam. Jack Derber war schlecht für die »Bewegung«.
    »Der Club existierte erst seit ein paar Jahren, und die Eigentümer hatten Angst vor der Polizei. Eigentlich war nichts von dem, was wir hier taten, wirklich illegal, aber wir wussten, dass der Polizei jeder Vorwand recht gewesen wäre, den Laden dichtzumachen. Deshalb haben wir nur unter der Hand weitererzählt, dass es diesen Ort gibt.«
    Sie drehte sich jetzt so auf ihrem Sitz, dass sie Adele anblickte. »Das war, bevor das Internet alles erleichtert hat. Zur damaligen Zeit gab es nur ein paar Chatrooms, über die wir kommuniziert haben, aber das hielt sich noch in bescheidenem Rahmen.«
    Raven machte eine Pause, holte tief Luft und blickte wieder zu Piker, der ungeduldig die Hand hob und sie zum Weiterreden aufforderte.
    »Wie gesagt, ich bin ihm hier zum ersten Mal begegnet. Er war sehr charmant und nannte sich Dark . Wir haben uns oft zusammen in die Séparées dort hinten zurückgezogen.«
    Sie wies auf eine nicht gekennzeichnete Tür, die mir noch gar nicht aufgefallen war.
    »Irgendwann wollte er dann einen Schritt weitergehen und hat mich in sein Haus in den Bergen eingeladen, und ich habe eingewilligt. Ich war jung und naiv, aber er hatte sich bis dahin immer ans Protokoll gehalten, und ich dachte, es wäre alles unter Kontrolle. Ich habe nicht bemerkt, wie ernst er das alles nahm, denn zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch viel Spaß mit ihm. Aus diesem Grund war der Ortswechsel auch kein Problem für mich. Im Club habe ich niemandem davon erzählt. Es wusste ohnehin kaum jemand, dass wir beide etwas miteinander hatten.«
    Sie schwieg und starrte an die Decke, während sie langsam und rhythmisch mit einem Finger auf die Tischplatte klopfte. Dann senkte sie den Blick wieder, ballte die Hände zu Fäusten und legte sie auf ihren Schoß. Als sie fortfuhr, hatte sich ihr Tonfall geändert. Sie sprach jetzt schnell und leise und betete monoton die Fakten herunter, genau wie ich es bei schwierigen Sitzungen mit Dr. Simmons tat. Vermutlich schmerzten sie die Erinnerungen bis heute.
    »Es war spät an einem Samstagabend. Nachdem ich die lange, kurvige Zufahrt hochgefahren war, tauchte plötzlich das Haus vor mir auf. Es sah unheimlich aus, so als würde es darin spuken. Das hat mich irgendwie erregt. Ich bin also zur Haustür gegangen und habe zaghaft geklopft. Das Erste, was ich gesehen habe, als er die Tür aufmachte, war seine riesige behandschuhte Faust, die auf mein Gesicht zuraste. Nachdem er mir eins übergebraten hatte, zog er mich ins Zimmer. Ich habe natürlich um mich getreten und geschrien, aber noch dachte ich, es wäre Teil des Spiels, auch wenn dieser Spielzug extremer war, als ich es gewöhnt war. Was mich stutzig machte, war, dass wir nichts davon vorher vereinbart hatten. Dann fing er an, auf mich einzuprügeln, erbarmungslos, ohne Unterlass. Ich habe noch versucht, mein Safeword hervorzubringen – es lautete ›gelb‹ –, bin aber vor Schmerzen ohnmächtig geworden, bevor ich es sagen konnte.«
    Raven machte eine Pause und schloss die Augen. Dass der Schock bis heute nachwirkte, überraschte mich. Ich hatte geglaubt, verprügelt zu werden sei genau das, was sich masochistisch veranlagte Menschen wünschten. Die BDSM-Welt blieb mir ein Rätsel. Piker streichelte liebevoll Ravens Arm und

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