Dance of Shadows
Freude enden. Oder aber es würde alles auseinanderbrechen – je nachdem, um welche Art Ballettstück es sich handelte: eine Romanze oder eine Tragödie.
Nachdem Vanessa beobachtet hatte, wie Anna aus dem Probenraum im Keller rannte, wartete sie im Schatten und versuchte zu begreifen, was sie da gerade gesehen hatte. Zuerst hatte Justin Anna gesagt, sie solle die Schule verlassen. Dann war Anna weinend davongelaufen und hatte einen Blumenstrauß auf den Brandfleck im Probenraum gelegt. Aber warum? Und für wen?
Vanessa spähte in den Flur und horchte, ob Anna zurückkam, aber es war alles ruhig. Sie schlich sich leise in den Raum, wo die Lichter auf den Strauß aus weißen Rosen schienen, hob ihn vorsichtig an und suchte nach einer Karte mit einem Namen darauf oder zumindest nach Initialen, nach irgendetwas, das ihr einen Hinweis geben könnte, für wen die Rosen waren – aber sie konnte nichts entdecken.
Sie arrangierte die Blumen wieder so, wie Anna sie hingelegt hatte. Dann schlich sie auf Zehenspitzen zur Tür und verließ unauffällig das Gebäude, gerade als Steffie und TJ am Eingang auftauchten, zwei weiße Gespenster vor der dunklen Marmorfassade.
»TJ?«, fragte Vanessa, als sie ihre wilden Locken erkannte. »Steffie? Was macht ihr denn hier?«
»Ich hab gesehen, wie du Anna hinterhergelaufen bist«, erklärte Steffie.
»Und ich wiederum bin Steffie hinterhergelaufen«, sagte TJ. »Anna ist gerade wieder rausgekommen.«
»Hat sie euch etwa gesehen?«, fragte Vanessa und versuchte die Panik in ihrer Stimme zu unterdrücken.
»Du hältst uns wohl für blöd«, sagte TJ und balancierte auf der Marmoreinfassung des Gebäudezugangs. »Ich kann auch ganz diskret sein, weißt du.«
Vanessa seufzte. »Tut mir leid, das weiß ich doch.«
Sie hatten sich ins Zimmer von TJ und Vanessa zurückgezogen, und nachdem Vanessa laute Musik angemacht hatte, damit man nicht hören konnte, was sie sagten, hatte sie den beiden alles erzählt.
»Hat Anna also geweint, weil sie Zep noch immer liebt?«, fragte Steffie und wischte sich den Eyeliner mit einem feuchten Tuch ab.
»Ja, das nehme ich an«, sagte Vanessa und fuchtelte mit ihrem Handtuch herum, das voll weißer Schminke war. »Aber für wen waren dann die Blumen?«
»Vielleicht waren sie für Zep.« TJ schaute Vanessa im Spiegel an. »Vielleicht … «
»Daran habe ich auch schon gedacht«, sagte Vanessa ruhig. »Aber warum sollte sie ihm Blumen hinlegen, die sie von Justin bekommen hat? Und warum ausgerechnet dorthin? Ihr hättet sehen sollen, wie sie geweint hat. Es war eher so, als stünde sie trauernd an einem Grab.«
»Warum fragst du Zep nicht einfach?«, fragte Steffie, die nun mit einem Waschlappen versuchte, die Farbspuren aus dem Gesicht zu entfernen. »Wenn irgendjemand weiß, was mit Anna los ist, dann doch wohl er.«
Vanessa schaute zu Boden. »Weil ich ihn seit der Probe neulich nicht mehr gesehen habe«, gab sie verlegen zu.
»Und warum rufst du ihn nicht einfach an?«, fragte Steffie.
»Das werde ich machen«, sagte Vanessa. Sie wollte ihnen nicht sagen, dass er nie ans Telefon ging. TJ fing ihren Blick im Spiegel auf und schaute sie mitfühlend an, aber Vanessa schaute zur Seite.
»Klingt, als ob er schwer zu erwischen ist«, sagte Steffie.
»Ach nein«, sagte Vanessa, »das ist es nicht. Er hat nur … « Aber sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte tatsächlich keine Ahnung, wo er war, warum er nicht an den Halloween-Streichen teilgenommen hatte, warum er ihr auf der Party nicht begegnet war und warum er so viel Zeit mit Josef verbrachte.
»Ist er so viel mit Josef zusammen?«, sagte TJ, als hätte sie Vanessas Gedanken gelesen. »Aber warum? Du sagst doch, er tanzt immer perfekt?«
Steffies Lippen waren an einigen Stellen immer noch schwarz, aber ihre Haut kam unter dem weißen Make-up wieder zum Vorschein. »Wenn ich du wäre«, sagte sie, »dann wäre ich vorsichtig. Meine Mutter sagt immer, dass man bei Männern mit Geheimnissen aufpassen muss. Und Zep hat ganz klar einen Haufen Geheimnisse.«
Vanessa erstarrte. »Was meinst du damit?«
Steffie wischte sich die Lippen mit dem Waschlappen ab und inspizierte ihr Spiegelbild.
»Anna hat vielleicht doch wegen ihm geweint«, meinte sie.
»Ja, weil er mit ihr Schluss gemacht hat«, sagte Vanessa.
»Aber die große Frage ist doch eine andere«, fuhr Steffie fort und ignorierte Vanessas Einwurf. »Warum hat Justin versucht, sie davon zu überzeugen, dass sie die
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