Dance of Shadows
sah der Gruppe nach, die weiter vorn den Weg entlangschlenderte. »Warum das?«
»Weil du heute Nacht aus deiner Identität schlüpfen kannst. In den nächsten drei Stunden musst du nicht Vanessa sein. Du kannst sein, wer immer du willst.«
»Wer sagt das?«
»Ich sage das. Jetzt komm mit.« Steffie packte sie am Arm und zog sie mit. »Lassen wir mal für eine Nacht alles hinter uns und tun so, als gäbe es unsere Probleme einfach nicht.« Mit gedämpfter Stimme fuhr sie fort: »Lass uns verschwinden.«
Und mit Steffie an der Seite fand sich Vanessa mitten in der Gruppe von ausgelassenen Ballettschülern wieder, auf dem Weg zurück zur Schule. Schließlich erreichten sie den Campus, und ihre Stimmen hallten von den Gebäuden rund ums Lincoln Center wider. Steffie und Vanessa hielten Ausschau, bis sie Blaine und TJ entdeckten, die sie mit lautem Hallo begrüßten. Arm in Arm tauchten sie in die Menge ein und ließen sich die Treppe hinauf in einen der größeren Übungsräume treiben.
Das Licht einer roten Stroboskoplampe wurde von den verspiegelten Wänden reflektiert. Papierschlangen und stilisierte Spinnweben hingen von der Decke und verwandelten den Raum in eine unheimliche andere Welt. Getränke und Kübel mit Eiswürfeln standen aufgereiht auf Tischen entlang der Ballettstange, und Musik dröhnte aus einem Lautsprecher auf der anderen Seite des Raums und vermischte sich mit der lärmenden Fröhlichkeit der dicht gedrängten Leiber auf der Tanzfläche.
Vanessa und ihre Freunde suchten sich ihren Weg durch das Gewirr von Armen, Beinen und Gesichtern, von denen sie keines erkannten. Die dicke weiße Schminke verdeckte alle Gesichtszüge. Im Raum hing der süßliche Duft von Pfirsichlikör und Bourbon.
»Wohin gehen wir eigentlich?«, rief TJ hinter ihr. Blaine hatte sich schon abgesetzt und tanzte heftig flirtend mit einem Jungen, der als Teufel verkleidet war. Vanessa reckte den Kopf und hielt über die Menge hinweg unwillkürlich Ausschau nach dem Tod. In der Mitte des Raums ragte eine Sichel empor, und ein dunkler Umhang flatterte in der Luft. »Zep«, flehte sie lautlos, doch noch bevor sie sich zu ihm durchkämpfen konnte, war er schon inmitten eines Meersvon blitzenden Lichtern und wild bewegten Armen und Beinen verschwunden.
»Wo ist denn TJ abgeblieben?« Vanessa bemerkte plötzlich, dass sie auch ihre Zimmergenossin aus den Augen verloren hatte.
»Sie steht dort drüben«, rief Steffie und wies mit dem Kopf auf die andere Seite des Raums, wo TJs Lockenmähne über die Menge hinausragte. »Unterhält sich mit dem Minotaurus.«
»Wer das wohl ist?«, fragte sich Vanessa.
Steffie nippte an ihrem Glas. »Wen kümmert das schon?«, sagte sie grinsend. »Manchmal ist es besser, man weiß es gar nicht.«
Vanessa sah lachend zu den beiden hinüber, als sie auf einmal sah, wie TJ empört aufschrie.
Neben dem Minotaurus stand eine Fee. Sie trug ein rosafarbenes Kostüm und eine hellblonde Perücke und sah damit Elly unglaublich ähnlich. »Wie kannst du es wagen, dich als Elly zu verkleiden?«, schrie TJ lallend. »Weißt du, was mit ihr passiert ist? Hast du ihr etwas getan?«
Die Fee zuckte erschreckt zurück, und ihr Begleiter, der Minotaurus, trat zwischen die beiden. »Hey, jetzt beruhig dich doch erst mal.«
»Mich beruhigen?«, schrie TJ. »Deine Freundin ist verkleidet wie ein Mädchen, das vermisst wird.« Rundherum wurde es still.
»Hör mal, ich weiß nicht, wovon du redest … «, begann der Minotaurus, aber TJ schnitt ihm das Wort ab.
»Sag ihr, sie soll diese blöde Perücke abnehmen«, herrschte sie ihn an und griff nach dem Kopf der Fee. Das Mädchen schrie entsetzt auf, doch der Minotaurus hielt TJ gerade noch rechtzeitig zurück. Sie taumelte und warf ihr Glas zur Seite. Roter Punsch spritzte über den Boden und auf die Kostüme der umstehenden Mädchen, die sie wütend anschrien.
»Das ist doch nicht zu fassen! Warum ist allen egal, was mit Elly passiert ist? Warum hört mir keiner zu?«
Vanessa und Steffie bahnten sich den Weg zu ihr und zerrten TJ aus der Menge. »Komm mit«, sagte Steffie in bestimmtem Ton. »Wir hören dir zu. Lass uns ein Stück zur Seite gehen, da können wir reden.«
Auf der anderen Seite des Raums entdeckte Vanessa plötzlich Hilda, die TJ mit einem derart stechenden Blick fixierte, wie ihn Vanessa noch nie an ihr gesehen hatte.
»Alles okay«, murmelte TJ, als sie abseits der Menge standen. Sie hatte eine gewaltige Fahne. »Mit mir ist alles
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