Dance of Shadows
Entsetzen verzerrt, von den Wänden lösten.
Chloë
, flüsterten sie.
Margaret. Elizabeth. Katerina. Joy. Rebecca. Hannah. Josephine …
Weitere Namen folgten, bis sich alles zu einem wirren Flüsterchor vermengte.
»Margaret?«, rief Vanessa und ihr Blick wanderte angstvoll suchend durch den Raum.
Die Anrufung
, wisperten sie.
Die Beschwörung. Deine Seele ist in Gefahr.
Vanessa wirbelte mit fliegenden Haaren herum und starrte einmaldie weißen Figuren an, dann wieder die leeren Stellen an der Wand, wo die Augen sein würden, hätten sie welche gehabt.
Wir sind du. Du bist wir. Wir sind du. Du bist wir.
»Was?«, keuchte Vanessa kaum hörbar.
Die Figuren glühten bei jedem Satz stärker auf.
Wir sind du. Du bist wir. Wir sind du. Du bist wir.
Sie erglühten mit qualvoll verzerrten Gesichtern und weit aufgerissenen Mündern. An ihrer Oberfläche begann es zu brodeln, und auf ihren Armen bildeten sich große Blasen.
Wir sind du. Du bist wir. Wir sind du. Du bist wir.
Und noch bevor Vanessa die Hände schützend vor die Augen halten konnte, loderten die Figuren zu hellroten Flammen auf, und ihre Stimmen steigerten sich zu einem entsetzlichen Schrei höchster Agonie.
»Was machst du da?«, polterte Hilda von der Tür her.
Vanessa schlug die Augen auf und merkte, dass sie allein in einer Ecke des Raums kauerte. Sie nahm die Hände vom Gesicht und starrte auf die Figuren an der Wand. Sie rührten sich nicht. Die dicke Farbschicht glänzte auf den Wänden. Man sah weder Feuer noch Rauch. Hatte Vanessa sich das alles nur eingebildet?
»Haben Sie nicht auch etwas gehört?«, fragte Vanessa. »Gerade eben?«
»Etwas gehört?«, fragte Hilda und sah Vanessa misstrauisch an. »Geht es dir nicht gut?«
»Ich … mir ist schwindlig«, sagte Vanessa. Sie hatte beim Aufstehen weiche Knie und musste sich an der Ballettstange festhalten. »Ich glaube, ich muss mich ein bisschen hinlegen.«
Hildas untersetzte Gestalt auf der anderen Seite des Raums schien vor Vanessas Augen zu schwanken. Auf einmal öffnete sich die Tür, und breite Schultern tauchten hinter Hilda auf. Vanessa kniff die Augen zusammen, um besser zu sehen.
»Zeppelin«, sagte Hilda. »Du kommst genau richtig. Vanessa fühlt sich heute nicht so gut und kann nicht proben.« Sie musterte Vanessaso eingehend, als wollte sie bis auf den Grund ihrer Seele sehen. Vanessa bemerkte es verblüfft, doch blitzschnell veränderten sich Hildas Gesichtszüge, und sie wirkte wieder so bescheiden und unscheinbar, wie Vanessa es von ihr gewohnt war. »Bitte bring sie zurück ins Wohnheim und sorg dafür, dass sie sich hinlegt.«
Zep ließ seine Tasche auf den Boden fallen und eilte mit besorgter Miene zu Vanessa.
Darüber hätte sich Vanessa eigentlich freuen müssen, stattdessen bekam sie ein furchtbar schlechtes Gewissen. »Aber was ist mit Josef und der Probe? Wir können doch nicht beide … «
»Ich kläre das mit Josef«, sagte Hilda. »Darum musst du dir keine Sorgen machen.«
Zep streckte ihr die Hand hin. »Hi«, sagte er mit sanfter Stimme. Vanessa hätte ihn gern gefragt, wo er gesteckt habe und warum er ständig verschwinde, ohne ihr Bescheid zu sagen. Ob er an sie dachte, wenn sie sich nicht sahen. Und ob er sich vor dem Einschlafen fragte, wie es ihr wohl ging.
Hinter ihm kamen lachend und ihre Trainingstaschen schwenkend die Prinzessinnen herein.
Vanessa starrte Zeps Hand an. Er streckte sie ihr entgegen und wartete. Wortlos schob sie ihre Finger in seine, und zusammen gingen sie an Anna und ihren Freundinnen vorbei hinaus in den sonnigen Herbstnachmittag.
Keiner von beiden sprach, während sie über den gepflasterten Verbindungsgang zwischen Balletttheater und dem Wohnheim schlenderten. Vanessa sah nicht einmal zu Zep auf. Sie hielt den Blick auf ihre Füße gerichtet, die im Gleichschritt mit seinen gingen, als würden sie tanzen.
»Wo bist du gewesen?«, fragte sie plötzlich, gerade als auch er den Mund öffnete, um etwas zu sagen.
»Ich war mit Josef zusammen.«
Ihre Frage und seine Antwort vermischten sich, und Vanessa musste lächeln, als sie merkte, dass sie die Gedanken des anderen gelesen hatten.
»Willst du dich eine Weile hinsetzen?«, fragte er.
Vanessa nickte, und er ging mit ihr zu einem sonnigen, vor dem Novemberwind geschützten Plätzchen auf den marmornen Stufen neben den Glasfassaden des Lincoln Center.
»Warum verbringst du eigentlich jeden Abend mit Josef?«
Zep zögerte. »Ich bekomme bei ihm zusätzliches
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