Dance of Shadows
seinen Kuss, ihre Knie berührten seine, und jede Faser ihres Körpers sehnte sich nach ihm. Einen Augenblick hatte sie das Gefühl, alles würde gut.
Alle anderen waren beim Unterricht, als Vanessa ins Wohnheim zurückkam. Vanessa war wieder allein, und das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht, als sie die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufging. Sie versuchte sich ins Gedächtnis zurückzurufen, was Zep zu ihrer Beruhigung gesagt hatte, doch seine Stimme verklang.
Stattdessen hörte sie andere Stimmen – zunächst leise, dann immer lauter und schriller.
Deine Seele, deine Seele, deine Seele. Die Beschwörung. Die Beschwörung. Die Beschwörung.
Wie gehetzt rannte sie in ihr Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Dort kauerte sie sich auf den Teppich und presste die Hände auf die Ohren, doch die Stimmen wurden immer lauter.
Panisch griff Vanessa nach ihrem Handy und wählte die Nummer der Person, auf die sie sich immer verlassen konnte. Eine Ewigkeit nahm keiner ab. »Bitte sei da«, flehte Vanessa. »Bitte.«
»Hallo?«
Noch nie war Vanessa so erleichtert gewesen, die Stimme ihrer Mutter zu hören. »Mom. Ich bin’s.«
»Vanessa? Du klingst ganz außer Atem. Geht es dir gut?«
Vanessa starrte auf den Teppich vor sich und schüttelte den Kopf.»Hier passieren seltsame Dinge«, sagte sie. »Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll, aber ich bilde mir das nicht ein. Die Wände, sie sind … Es sind Mädchen darin.«
»Vanessa, ich verstehe kein Wort. Was hast du gerade gesagt … irgendetwas über eine Wand?«
»Ja. Ich höre ständig diese Mädchen. Ihre Stimmen gehen mir pausenlos durch den Kopf.«
»Was?« Ihre Mutter schwieg einen Moment verdutzt. »Vanessa, wo bist du?«
»In meinem Zimmer.«
»Müsstest du denn nicht in der Probe sein?«
»Schon, aber ich hab mich heute nicht wohlgefühlt. Ich bin für die Probe heute entschuldigt.«
»Du bist entschuldigt?«, fragte ihre Mutter alarmiert. »Ist jemand bei dir?«
»Nein. Die anderen sind alle im Unterricht. Aber ich kann sowieso mit niemandem darüber sprechen. Die denken sonst, ich bin verrückt.«
Am anderen Ende der Leitung herrschte lange Schweigen. »Also gut, Vanessa, ich möchte jetzt, dass du tief durchatmest und dich beruhigst. Geh bitte sofort ins Bett und ruh dich aus.«
Vanessa schüttelte den Kopf. »Was hast du gesagt? Nein, ich geh nicht ins Bett. Dann höre ich bloß wieder diese Stimmen.« Bei ihrer Mutter hörte sie im Hintergrund Papier rascheln.
»Vanessa, du musst dich unbedingt ausruhen. Du bist überarbeitet und gestresst wegen deiner Aufführung. Das ist ganz normal. Aber du darfst den Stress nicht überhandnehmen lassen. Versuch etwas zu schlafen. In ein paar Stunden fühlst du dich schon viel besser.«
»Stress? Nein, Mom, das hat nichts damit zu tun. Ich höre die Stimmen wirklich. Ich bilde mir das nicht ein … «
Ihre Mutter schluckte. »Und was hörst du da genau?«
»Stimmen. Von Mädchen in der Wand. Ihre Körper brannten lichterloh.«
Sie hörte, wie ihre Mutter tief ausatmete. »Vanessa, bitte versuch jetzt zu schlafen. Versprich mir das. Das kommt alles von der Erschöpfung. Ich werde jetzt deinen Arzt anrufen.«
Vanessas Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. »Was? Ich brauche keinen Arzt. Du hast immer gesagt, ich soll anrufen, wenn … «
Vanessa verkniff sich, weiterzusprechen. Sonst würde ihre Mutter wahrscheinlich herkommen und sie von der Schule nehmen. Sicher wäre ihr jeder Vorwand recht, wenn ihre Tochter nur wieder nach Hause käme. Aber wollte Vanessa das tatsächlich?
Nein, sie musste hierbleiben.
»Du hast recht, Mom.« Vanessa bemühte sich, ganz ruhig zu sprechen. »Ich muss mich wirklich nur etwas hinlegen. Seit Wochen hab ich keine Pause mehr gehabt, und wenn ich ein paar Stunden schlafe, geht es mir sicher wieder besser.«
»Ganz sicher, Liebes«, sagte ihre Mutter erleichtert. »Gönn dir einfach ein paar Stunden Auszeit und verwöhn dich ein bisschen. Ich rufe dich später noch mal an und höre, wie es dir geht. Und wenn du dich wieder einmal aussprechen willst, ruf mich jederzeit an. Okay?«
Vanessa nickte. »Okay.«
Nachdem sie aufgelegt hatte, ging Vanessa jedoch nicht ins Bett. Sie starrte nachdenklich auf ihr Handy. Was nun? Sie hatte niemanden mehr, den sie anrufen konnte. Niemand außer …
Vanessa ging ihre Liste von Kontakten durch, bis sie Ellys Handynummer fand. Aber die hatte sie bereits Dutzende Male vergeblich gewählt. Sie brauchte Ellys
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