Dance of Shadows
Einzeltraining«, sagte er schließlich.
Einzeltraining? Wenn darin das große Geheimnis bestand, warum hatte er ihr das nicht schon längst erzählt?
»Es fällt mir nicht leicht zuzugeben, dass ich Probleme habe. Besonders wenn es ums Tanzen geht.«
»Dann probt er also mit dir allein?«, fragte Vanessa. »Aber du hast doch lauter
pas de deux
mit mir zusammen?«
Zep lachte auf. »Nein«, sagte er zögernd. »Ich habe schon auch zwei Solos.«
So viele zusätzliche Trainingsstunden, nur für zwei Solos?
Als habe er ihre Gedanken gelesen, fügte Zep hinzu: »Die sind sehr schwierig. Denk nur an die Probleme, die du in der Schlussszene hast. Ich kämpfe mit denselben Schwierigkeiten wie du.«
Vanessa schüttelte den Kopf. »Ich verstehe immer noch nicht, warum du mir das nicht schon früher erzählt hast. Dafür muss man sich doch nicht schämen.«
»Du hast schon genug am Hals«, erwiderte Zep. »Und du hast dir sicher schon gedacht, dass ich trainiere.«
»Stimmt«, murmelte Vanessa. »Das erklärt es wohl. Schließlich dreht sich das ganze Stück ja nicht nur um mich.«
»Hm, eigentlich schon«, sagte er lachend. »Irgendwie dreht sich alles darin doch um dich.«
Die Sonne wärmte ihr Gesicht. Zep drückte ihre Hand, die in seiner unglaublich klein aussah. Doch nicht einmal jetzt, mit Zep an ihrer Seite, konnte sie das heisere Flüstern der weißen Figuren aus ihrem Kopf verbannen.
Wir sind du, du bist wir, wir sind du, du bist wir.
Ihre Gesichter, ihre Stimmen, ihre Schreie, als das Feuer um sie herum aufloderte – es schien alles so echt. Dennoch hatte Hilda nichts davon wahrgenommen. Verlor Vanessa allmählich den Verstand?
»Hey.« Zep brachte sie wieder ins Hier und Jetzt zurück. »Was geht in deinem Kopf vor?« Er fuhr ihr mit dem Finger über die Stirn und strich ihr das Haar aus dem Gesicht.
Sollte sie ihm alles erzählen? Sie hätte ihn gern in ihr Geheimnis eingeweiht, aber sie wusste nicht, wie. Schließlich könnte sie es nicht ertragen, wenn er sich von ihr abwandte.
Als könnte er ihre Gedanken lesen, strich ihr Zep über die Wange. »Ich bin bei dir«, sagte er sanft. »Und so schnell wirst du mich auch nicht wieder los. Du kannst mir alles erzählen.«
Vanessa zögerte. »Und wenn du dann denkst, ich hätte den Verstand verloren?«
»Ich habe nur Angst davor,
dich
zu verlieren. Und wenn ich es verhindern kann, wird das niemals passieren.«
Vanessa lächelte ihn scheu an, und dann erzählte sie ihm alles von Anfang bis Ende: Wie Helen sie gepackt und sie beschworen hatte, die Schule zu verlassen. Dass sie keinem trauen sollte, außer dieser geheimnisvollen Lyrischen Elite. Sie berichtete ihm von den Stimmen im Probenraum, die ihren Namen geflüstert hatten; von den Gerüchten darüber, dass Solotänzerinnen der New Yorker Ballettakademie immer wieder spurlos verschwanden. »Was ist, wenn das alles wahr ist?«, fragte sie. »Wenn ich die Nächste bin? Schließlich habe ich heute Morgen gehört, wie die Stimmen mit mir gesprochen haben.«
Überrascht stellte sie fest, dass Zep kein bisschen besorgt wirkte. »Hast du dir darüber solche Sorgen gemacht? Ist es das, was dichso bedrückt?«, fragte er, als hätte sie ihm gerade erzählt, sie hätte ein Glas Milch verschüttet.
Vanessa nickte verwirrt.
»Und ich dachte schon, dass du dich irgendwie beim Tanzen böse verletzt hast oder dass du sogar eine schlimme Krankheit hast.« Zep lachte erleichtert, aber verlegen auf. »Ich glaube nicht, dass du dir da über irgendwas den Kopf zerbrechen musst«, sagte er tröstend. »Deine Nerven spielen ein bisschen verrückt, das ist alles. Zum Beispiel Helen: Sie war zwei Klassen über mir, daher kannte ich sie ein bisschen. Und ich kann nur sagen, dass sie immer schon am Rande des Nervenzusammenbruchs entlangschlitterte. Wenn Josef sie während der Proben anschrie, brach sie immer in Tränen aus. Und manchmal war sie wie in einer anderen Welt, wenn ich sie ansprach. Glaub mir, sie und du, das kann man überhaupt nicht miteinander vergleichen.«
Nach kurzem Nachdenken fuhr er fort. »Es stimmt, dass viele Mädchen die Schule abbrechen, aber nur, weil Tänzerinnen eben sehr sensibel und zart besaitet sind. Darum bewegen sie sich ja auch so wunderbar. Doch genau das macht sie eben auch so … zerbrechlich, und manchmal sogar labil.«
Vanessa biss sich auf die Lippe. Sie hasste dieses Klischee, wusste aber insgeheim, dass es der Wahrheit entsprach.
»Hast du denn auch schon von den anderen
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