Dance of Shadows
irgendetwas Seltsames dabei.«
»Aber keiner von deren Freunden hat jemals wieder Kontakt mit einem der Mädchen gehabt! Aufhören und nach Hause fahren ist eine Sache – aber völlig von der Bildfläche verschwinden? Das ist definitiv nicht normal!«
»Die Polizei scheint das ja nicht zu denken«, sagte Blaine.
»Die Polizei weiß ja auch nicht alles«, begann Vanessa, aber Steffie schnitt ihr das Wort ab.
»Ich hab noch eine kleine Privatrecherche durchgeführt und herausgefunden, dass ein Großteil dieser Mädchen die Rolle des Feuervogels übernehmen sollte.«
»Wie bitte?«, fragte Vanessa. »In diesen Artikeln steht davon aber nichts.«
»Ich weiß«, sagte Steffie. »Ich nehme mal an, die Schule hat das der Polizei nicht gesagt. Warum auch? Sie hatten ohnehin genug schlechte Presse. Aber ich bin die alten Besetzungslisten durchgegangen – und es stimmt tatsächlich.«
»Justin weiß etwas darüber«, flüsterte Vanessa. Sie dachte an jenen Nachmittag in der Bibliothek zurück, als Justin ihr von früheren Schülern erzählt hatte, die alle verschwunden waren. Sie war damals nicht darauf eingegangen, aber er hatte recht gehabt.
»Das verstehe ich nicht«, sagte Blaine. »Wie kommt es denn, dass wir nie etwas davon gehört haben?«
»Vermutlich versucht die Schule das unter den Teppich zu kehren«, sagte Steffie. »Überleg doch mal: Wenn so viele Solotänzerinnen wegen eines einzigen Balletts aufhören – dazu noch das schwerste, das es gibt –, würdest du wollen, dass das jedermann weiß?«
TJ starrte auf das iPad. »Meine Eltern haben mir gegenüber nie etwas davon erwähnt. Ich glaube nicht, dass sie überhaupt darüber Bescheid wissen.« Sie schwieg kurz. »Aber was ist dann mit Elly? Sie ist verschwunden, genau wie diese Mädchen hier. Sie war jedoch nicht für eine Hauptrolle vorgesehen … «
»Elly hat damit nichts zu tun«, sagte Steffie bestimmt. »Ihr geht’s gut. Sie hat geschrieben, dass sie aufgehört hat. Und sie ist zu Hause. Wenn sie verschwunden wäre, dann wären ihre Eltern hier und würden sie suchen.«
»Und wenn ihre Eltern gar nicht wissen, dass sie weg ist?«, sagte TJ und konnte ein Zittern in ihrer Stimme nicht unterdrücken. »Wenn die Schule es ihnen nicht mitgeteilt hat, weil sie irgendetwas vertuschen will? Diese E-Mail klingt doch auch gar nicht so, als wenn sie von Elly wäre. Hier stimmt doch was nicht!«
Steffie und Blaine sahen sich besorgt an. Vanessa fand das, wasTJ da andeutete, zwar einleuchtend, aber doch sehr krass, und TJ schien so erschüttert zu sein, dass Vanessa sie nicht noch weiter aufregen wollte – also sagte sie nichts. Trotz Ellys E-Mail fühlte sich etwas an ihrem Verschwinden genauso an wie bei Margarets, aber Vanessa kam nicht darauf, was genau es war. Als sie sich über das iPad mit den Fotos der vermissten Mädchen beugten, musste Vanessa an ihre Eltern denken und daran, wie alle Farbe aus ihren Gesichtern gewichen war, als sie jenen Anruf erhalten hatten. Vanessa war so tief in Gedanken versunken, dass der nächste Artikel sie eiskalt erwischte.
Zuerst begriff sie gar nicht, was sie da sah. Das lange kastanienbraune Haar; die sanften braunen Augen, die in die Kamera blickten; die zarten Lippen, die zu einem Lächeln verzogen waren. Vanessa tippte mit dem Finger auf den Bildschirm. Sogar auf dem grob gepixelten Zeitungsfoto sah das Mädchen rosig und voller Leben aus. Und dann las Vanessa die Bildunterschrift.
Vermisst: Margaret Adler, Tanzschülerin
Die Gruppe war still und starrte auf das lächelnde Mädchen auf dem Bildschirm, dessen Gesicht eine schmalere und filigranere Ausgabe von Vanessas war.
In Vanessa kam eine Erinnerung hoch, eine Szene, die Jahre her war, in Massachusetts, als sie und Margaret noch Kinder gewesen waren.
»Ich krieg dich!«, hatte ihre ältere Schwester im Garten gerufen. Es war Sommer, und ihr Vater hatte einen Wassersprenger aufgebaut, unter dem sie sich abkühlen konnten. Sie hatten mit dem Wasserschlauch ein paar Ballons, die von einer Geburtstagsfeier übrig geblieben waren, gefüllt und machten eine Wasserschlacht. »Achtung, Vanessa!«
Vanessa hatte sich geduckt, als Margaret einen Ballon nach ihr geworfen hatte. Er verfehlte sie und klatschte gegen die Rückwand desHauses. Vanessa kicherte und rannte davon. Fast wäre sie auf dem nassen Gras ausgerutscht. Sie lief an der Garage vorbei, und dann verschwamm plötzlich alles vor ihren Augen. Im nächsten Moment wurde sie von zwei Armen
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