Dance of Shadows
in den Hochhäusern aus wie Sterne am Himmel.
Vanessa lehnte sich gegen Ellys ehemalige Kommode, auf der inzwischen schon Staub lag. »Auf keinen Fall! Probier du’s doch, Elly war ja deine Zimmergenossin.«
»Aber das Kolophonium hat sie dir ins Zimmer gelegt«, entgegnete Steffie. »Und das bedeutet, dass sie ganz klar wollte, dass
du
es siehst.«
Steffie hatte recht. Warum hätte Elly es sonst unter Vanessas Zimmertür durchgeschoben, wo sie es doch auch Steffie ganz leicht hätte zeigen können? Gab es an dem Kolophonium etwas, bei dem Elly an Vanessa gedacht hatte? Sie betrachtete die bernsteinfarbene Masse, deren rauchiger Geruch durchs Zimmer drang.
»Probieren wir’s doch beide gleichzeitig«, sagte Vanessa schließlich.
»Abgemacht.«
Die Mädchen traten zum Schreibtisch und zwackten ein Stückchen Kolophonium ab. Es hatte eine seltsam gummiartige Konsistenz, wie verdickter Ahornsirup.
»Eins … zwei … «, Vanessa hob den Klumpen an die Lippen, » … und drei.«
Als sie das Kolophonium schmeckte, verzog Vanessa augenblicklich das Gesicht. Sie griff hastig nach einem Taschentuch von Steffies Nachttisch und spuckte die klebrige Masse aus. Steffie tat es ihr nach.
»Also das hat Elly ganz bestimmt nicht gemeint«, sagte Steffie und reichte Vanessa eine Flasche Wasser. »Und was jetzt? Ich frage mich, warum Josef das Kolophonium in seinem Büro aufbewahrt. Vielleicht ist es eine spezielle Sorte, die er nur den besten Tänzern gibt. Was meinst du?«
Vanessa starrte auf Ellys nackte Matratze und hatte noch immer den bitteren Geschmack des warmen Kolophoniums im Mund. Sie stand im früheren Zimmer ihrer Schwester, sprach über das Kolophonium, über Ellys Nachricht und ihr merkwürdiges Verschwinden – und plötzlich fühlte sie sich wieder wie die Sechstklässlerin, die beim Abendessen in der Küche saß, während am Telefon ein Fremder ihrer Mutter mitteilte, dass Margaret verschwunden war.
»Zep hat mich geküsst«, sagte Vanessa plötzlich. Die Worte waren heraus, ehe ihr überhaupt bewusst war, was sie sagte.
»Was?«, fragte Steffie. »Wann? Wo? Wie?«
»Heute Abend«, murmelte Vanessa und versuchte sich zu erinnern, wie er gerochen hatte, als er sich zu ihr geneigt und seine Lippen auf ihre gedrückt hatte. »Im Trainingssaal.«
Steffie wurde ruhig, und ihre Augen wurden groß vor Ehrfurcht.Dann lächelte sie breit. »Ich glaub’s einfach nicht, dass du so lange gebraucht hast, bis du mir das erzählst!«
Vanessa wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger. »Ich auch nicht.«
»Also spuck’s aus«, sagte Steffie und setzte sich auf ihr Bett. »Erzähl mir alles ganz genau.«
Und damit traten Margaret, Elly und das geheimnisvolle Kolophonium auf einmal in den Hintergrund.
Die Vergangenheit kann man nicht einfach ignorieren. Das fand Vanessa am folgenden Morgen im Geschichtsunterricht heraus. Draußen war der Himmel verhangen und vom selben Grau wie die steinernen Gebäude, die sich am Horizont abzeichneten. Die Herbstmorgen wurden allmählich dunkler und kühler. Vanessa gähnte und starrte an die Tafel. Die Mädchen hinter ihr im Klassenzimmer flüsterten und lenkten sie ab. Redeten sie da hinten etwa über sie?
»Pst!«, zischte TJ, starrte die Mädchen über die Schulter hinweg böse an und wandte sich dann zwinkernd wieder Vanessa zu.
»Danke«, flüsterte Vanessa ihr zu. In diesem Moment legte Mr Harbor die Kreide weg.
»Jetzt möchte ich, dass ihr euch in Gruppen aufteilt und drei Beispiele ausarbeitet: Dinge, die heute geschehen, die ihr aber auch im Alten Rom hättet erleben können. Was ihr nicht fertig bekommt, macht ihr als Hausaufgabe für kommenden Montag.«
Die üblichen Geräusche erfüllten das Klassenzimmer, Füße schlurften, Stühle wurden gerückt, Stimmen murmelten leise. Blaine, TJ und Steffie zogen ihre Stühle zu Vanessa heran. Sie schlug ihr Buch beim Kapitel über das Römische Weltreich auf und wollte etwas sagen, aber Steffie schob das Buch zur Seite.
»Um die Aufgabe kümmern wir uns später«, sagte sie und holte ihr iPad heraus. Sie senkte die Stimme. »Erinnert ihr euch noch daran,was Josef bei der Einführungsveranstaltung gesagt hat – dass im ersten Jahr an dieser Schule mindestens ein Viertel der Schüler aufhört?«
TJ lehnte sich zurück. »Ob ich mich daran erinnere?«, sagte sie lachend. »Diese Worte verfolgen mich seit Wochen!«
Steffie biss sich auf die Lippe. »Es gibt dazu noch mehr zu sagen.« Sie schaute die
Weitere Kostenlose Bücher