Dance of Shadows
daran geglaubt, dass ihre Schwester einfach davongelaufen war. Margaret war doch an der New Yorker Ballettakademie so glücklich gewesen! Und sie war eine tolle Schwester – wenn sie die Schule verlassen hätte, um ein neues Leben zu beginnen, dann hätte sie Vanessa eine Nachricht zukommen lassen. Nein, Margaret und den anderen Mädchen war etwas zugestoßen. Aber was konnte hinter diesen ganzen ungeklärten Vermisstenfällen stecken?
»Justin«, platzte Vanessa heraus. Ihre drei Freunde schauten sie an.
»Justin soll sie umgebracht haben?«, fragte Blaine – ein bisschen zu laut. Einige Klassenkameraden drehten sich um, aber Blaine wedelte abwehrend mit den Händen und senkte die Stimme. »Woher weißt du das? Ich hab ja schon immer vermutet, dass er ein Problem damit hat, seine Aggressionen zu kontrollieren!«
Vanessa schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube nur, dass Justin vielleicht mehr darüber weiß. Schließlich hat er gewusst, dass immer wieder Tänzerinnen, die für den Feuervogel besetzt waren, verschwunden sind.«
»Kannst du dich erinnern, ob er noch irgendwas anderes gesagt hat?«, fragte Steffie. »Darüber, wieso sie verschwunden sind?«
Vanessa dachte an alle Gespräche zurück, die sie mit Justin geführt hatte, und dabei fiel ihr eine Unterhaltung ein, die ihr besonders deutlich in Erinnerung geblieben war.
»Er hat mal erwähnt, dass meine Schwester Tagebuch geschrieben hat. Sie hat es nie irgendjemandem gezeigt, aber sie hat gesagt, falls ihr mal was zustoßen sollte, würde über ihr Tagebuch alles ans Licht kommen. Er dachte, sie spinnt und bildet sich da irgendwas ein, aber … «
»Das hat Justin gesagt?«, fragte Blaine. »Es wundert mich, dass er ihr dann überhaupt zugehört hat.«
»Ich glaube, er hatte sie gern«, murmelte Vanessa und dachte daran, wie sich sein Gesicht verdüstert hatte, als er von Margaret sprach.
»Also hat sie ihn abgewiesen«, sagte Steffie. »Und er hat daraus geschlossen, dass sie nicht ganz richtig tickt.«
»Ja«, sagte Vanessa und erinnerte sich, dass Justin erwähnt hatte, Margaret habe nicht mehr mit ihm gesprochen. »Aber er schien nicht verbittert zu sein, eher traurig. Ich glaube, er hat ihr immer noch zugehört und sich gemerkt, was sie sagte. Er hat sicher nicht geglaubt, dass sie verrückt ist, sonst hätte er mir doch nicht erzählt, was sie gesagt hat.«
»Sie hat gesagt,
falls ihr mal was zustoßen sollte
?«, wiederholte TJ. »Also wusste sie, dass da irgendeine Gefahr lauerte?«
»Ich glaube schon«, sagte Vanessa. »Aber alle haben gedacht, sie spinnt.«
Steffie stützte sich tief in Gedanken mit den Ellbogen auf denTisch. »Es klingt wie eine Vorsichtsmaßnahme – für den Fall, dass ihr mal was zustoßen sollte.«
»Was stand denn drin in diesem Tagebuch?«, fragte TJ.
»Ich hab es nie gesehen. Die Sachen von Margaret wurden irgendwann zu uns nach Hause geschickt. Als meine Mutter die Kartons lange Zeit später durchgeschaut hat, war ich dabei. Ich würde mich ganz sicher an ein Tagebuch erinnern«, sagte Vanessa. »Da war keins.«
»Glaubst du, sie hat gelogen und in Wirklichkeit gar keins geführt?«, fragte Blaine.
»Ganz sicher nicht«, sagte Steffie anstelle von Vanessa. »Wenn sie glaubte, dass jemand hinter ihr her war, hat sie es nur nicht irgendwo rumliegen lassen, wo jeder es hätte finden können. Sie wird es gut versteckt haben!«
»Aber wo?«, fragte Blaine.
»Wenn ich sie wäre«, sagte Steffie, »wüsste ich nur einen einzigen Ort, wo ich es verstecken würde.« Sie machte eine Kunstpause. »In ihrem Zimmer. Und mit
ihrem
Zimmer meine ich
mein
Zimmer.«
Als es zum Ende der Stunde klingelte, rannten sie los. Steffies Seite des Zimmers war vollgestopft mit Klamotten und Papieren, während Ellys Seite so leer war wie an dem Tag, an dem sie verschwunden war.
Das Stück Kolophonium von gestern Abend lag noch immer auf dem Nachttisch. Vanessa wickelte Ellys Zettel darum und stopfte es in die Tasche. Dann ließ sie sich auf alle viere nieder und begann zu suchen. Gemeinsam durchstöberten sie den ganzen Raum. Sie suchten unter dem Bett und hinter der Kommode, sie überprüften die Unterseiten der Schubladen und die Schrankbretter. Vanessa kontrollierte, ob es Bodenbretter gab, die lose waren. Sie räumten auch Steffies Mobiliar komplett leer und warfen alle Sachen auf einen großen Haufen mitten im Zimmer. TJ stocherte sogar hinter dem Heizkörper herum, förderte aber nur Staub und Spinnweben zutage.
Blaine
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