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Dance of Shadows

Dance of Shadows

Titel: Dance of Shadows Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yelena Black
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irgendjemand sonst reingekommen?«, fragte sie.
    »Nein, Miss«, sagte er.
    Vanessa atmete tief durch. Sie war erleichtert, dass Justin und die Zwillinge offenbar nicht wussten, wo sie hinwollte.
    Der Mann fragte: »Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Miss?«
    Sie schaute ihn an. Seine freundlichen, matten Augen schienen Sicherheit zu versprechen, und einen Augenblick wollte sie ihm alles erzählen. Aber was denn – dass drei Klassenkameraden ihr gefolgt waren? Sie wusste nicht einmal, warum sie sich vor Justin und den Zwillingen versteckt hatte und warum der Ausdruck auf Justins Gesicht sie so erschreckt hatte. Was konnten sie im Schilde führen? Vielleicht wollte Justin ja nur mit ihr reden. Aber dann hätte er sie doch einfach rufen können? Vielleicht dachte er, sie würde sich mit Zep im Probenraum treffen. Vielleicht spionierten sie ihr nach, um zu sehen, wie viel sie trainierte, damit sie allen an der Schule sagen konnten, wie wenig Talent sie hatte   …
    »Miss?«
    »Mir geht’s gut, es ist alles in Ordnung«, sagte sie und bemühte sich, möglichst normal zu wirken. Ihr zitterten die Hände, und sie schob sie tief in die Taschen.
    »Wie lange sind Sie hier?«, fragte sie.
    »Die ganze Nacht über.« Er machte eine Pause. »Ist auch wirklich alles in Ordnung?«
    Vanessa nickte.
    Der Wärter tippte an seine Mütze und ließ sie durch.
    Der Probenraum im Keller war dunkel und verlassen und wirkte beinahe friedlich. Es war schwer zu glauben, dass es derselbe Raum war, in dem sie diese Woche jeden Tag morgens und nachmittags geprobt hatte.
    Vanessa ließ ihre Hand über die Figuren an der Wand gleiten. Sie spürte die glatte Farbe an den Stellen, wo die Gesichter der Figuren gewesen wären, hätten sie welche gehabt. Dann versuchte sie sich vorzustellen, es wären wirkliche Menschen mit unterschiedlichen Physiognomien und Gesichtsausdrücken. Sie dachte an ihre Schwester und an alle anderen Mädchen, über die sie in den Zeitungsartikeln gelesen hatte – an all diejenigen, die nun schon lange Zeit verschwunden waren und längst der Vergangenheit angehörten. Einen Moment lang fühlte sich die Wand warm an, als würde Vanessa keine Farbe, sondern die Wange eines Mädchens aus Fleisch und Blut berühren. Aber das Gefühl verging genauso schnell, wie es gekommen war. Vanessa sprang erschreckt zurück. Was war das bloß?
    Bald stand sie nur Zentimeter neben dem verbrannten Kreis in der Mitte des Raumes. Seine Umrisse waren schwächer als zu Beginn der Proben zum
Feuervogel
. Sie zog sich ihre Spitzenschuhe an und fuhr die schwarzen Spuren auf dem Boden mit den Zehen nach. Vanessa wusste, dass der Kreis eine Markierung für die Tänzer sein musste, aber als sie sich bückte, um ihn zu berühren, hatte sie das Gefühl, sie würde echte Asche berühren, so als ob hier wirklich ein Feuer gebrannt hätte.
    Aber nein, das war unmöglich, entschied Vanessa, und schüttelte den Gedanken ab.
    Sie zog ihre Strickjacke aus und warf sie zur Seite. Dann stellte sie sich neben die Markierung in die vierte Position und versuchte sich an den merkwürdigen Rhythmus von Josefs Klatschen zu erinnern. Aber sie hörte nur seine Stimme, die ihr ins Ohr bellte, die anderen Mädchen, die miteinander tuschelten, und Zep, der frustriertstöhnte, wenn sie stolperte. Sie konnte beinahe Josefs Kaffee-Atem riechen, als er sie umkreiste, ihr Bein anhob, ihren Rücken geradebog und ihre Armhaltung korrigierte. Sie konnte die Enttäuschung auf Zeps Gesicht sehen, als er sich von ihr abwandte, zu seiner Tasche ging und den Raum verließ, ohne sich auch nur zu verabschieden.
    Vanessa presste die Hände auf die Ohren und trat zurück. Langsam öffnete sie die Augen wieder und war fast getröstet vom Anblick der weißen, stillen Figuren an der Wand, die auf sie aufpassten.
    Vanessas Blick blieb an einer Figur hängen, die ihrer Schwester ganz besonders ähnlich sah. Die schmale Nase, der nach oben gereckte Hals – als würde sie ihr Gesicht zur Sonne erheben.
    »Du solltest eigentlich hier stehen und nicht ich«, sagte Vanessa erschöpft zu ihr. »Warum tust du das nicht?«
    Aber die weiße Figur antwortete nicht; sie blieb dort, wo sie war, und stand auf der Fußspitze.
    Vanessa machte die Haltung der Figur nach, erhob sich ins
relevé
und streckte das Kinn zur Decke. Sie warf einen langen Schatten über den Holzboden, das exakte Abbild der weißen Tänzerin an der Wand. Dann wandte sie sich der nächsten Tänzerin zu, die in einer
attitude en

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