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Dance of Shadows

Dance of Shadows

Titel: Dance of Shadows Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yelena Black
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pointe
stand. Langsam versuchte Vanessa nun, ihre Haltung einzunehmen, und als ihr Schatten ein Abbild der zweiten Figur an der Wand war, begriff sie, dass sie die Bewegungen alle kannte. Sie machte weiter, nahm die Haltung der nächsten Figur ein und dann die der übernächsten. Es waren alles Schritte aus dem
Danse du Feu
. Wo eine Lücke war, füllte Vanessa sie aus der Erinnerung und dachte dabei an den sich ständig ändernden Rhythmus von Strawinskys Musik.
    Und bald tanzte sie. Sie musste die Figuren nicht mehr anschauen und auch nicht mehr über den Rhythmus nachdenken, sie musste überhaupt nicht mehr denken. Stattdessen ließ sie ihrem Körper freienLauf, und ihre Beine bewegten sich durch die Luft, als wäre jeder Schritt schicksalhaft vorgeschrieben und unvermeidlich.
    Sie schaute zu Boden auf ihren Schatten, als sie den Raum in Sprüngen durchquerte. Langsam verblasste alles, was sie umgab. Die Beleuchtung schien schwächer zu werden, und die Wirklichkeit wurde brüchig, das verbrannte Schwarz der Wände verschwamm um sie herum, der Boden schwankte unter ihren Füßen und drohte sie zu Fall zu bringen.
    Aber Vanessa fiel nicht. Sie fing sich rechtzeitig, breitete die Arme weit aus, und stand grazil nur noch auf der Spitze ihres rechten Fußes.
    Atemlos wirbelte sie die Arme herum und drehte sich in einer
fouetté
, als ihr plötzlich etwas auffiel: Die weißen Figuren an den Wänden waren heller geworden, ihre Umrisse leuchteten, als wären es nur dünne Fugen, durch die das Licht schien. Vanessa fühlte sich schwindelig, sie verlor das Gefühl für Zeit und Raum und blinzelte, aber sie tanzte trotzdem weiter. Und da begannen sich die Figuren zu bewegen. Sie lösten sich von der Wand und folgten Vanessa, durchsichtig und schimmernd.
    Sie blieb erschrocken stehen, und die Figuren lösten sich auf wie eine Handvoll Staub, der sich langsam setzt.
    Vanessa stand still und unbeweglich da. Was war das gerade gewesen? Hatte sie Visionen? Sie strich sich über die Stirn und blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Der Raum war leer, und die Figuren befanden sich an der Wand, genau wie vorher. Sie hatte sich das alles wohl nur eingebildet.
    Sie stellte sich wieder in Position, hob den Arm über den Kopf und tanzte an der Stelle weiter, wo sie aufgehört hatte. Und wieder lösten sich die Figuren von den Wänden, umringten sie und machten Vanessas Bewegungen nach. Diesmal waren die verschwommenen Umrisse heller und klarer und formten sich zu Armen, Beinenund Fingern. Vanessa konnte Augen erkennen, Nasen, Stirnen, Lippen – alles irisierend und durchscheinend, und doch ganz deutlich.
    Entzückt betrachtete Vanessa die Figuren, ihre Gliedmaßen, die sich im Einklang mit ihren bewegten, als wären sie ihr Abbild. Sie sah sich ihre Gesichter genau an und versuchte zu begreifen, wer sie waren und warum sie sie nachahmten. Und da merkte sie, dass die Gesichtsausdrücke der Figuren, die sie jetzt sehen konnte, wie mitten im Gefühl erstarrt schienen. Und was noch merkwürdiger war: Alle Figuren hatten denselben Gesichtsausdruck.
    Vanessa drehte eine Pirouette und ließ ihren Blick von einer Tänzerin zur nächsten gleiten. Die Lippen waren leicht geöffnet, als würden sie eine Sache oder einen Menschen überrascht anstarren, die Augen waren vor Schreck geweitet.
    Das Stück war jetzt fast zu Ende. Vanessa konnte nicht aufhören, sie bewegte sich immer schneller und wirbelte in Ekstase umher, bis die Figuren zu verblassen begannen und wieder mit der Wand verschwammen – alle bis auf eine. Das schlanke Mädchen mit der schmalen Nase, das Mädchen, das Margaret so sehr ähnelte, glühte so hell, dass Vanessa kaum hinschauen konnte. Alles, was sie von ihr sah, waren die Umrisse ihrer Beine, die sich im Gleichtakt mit ihren Beinen bewegten; die strahlende Spur, die die Arme des Mädchens hinterließen; ihre Fingerspitzen, die Vanessas Fingerspitzen fast berührten.
    Sie war ihr so nahe, dass Vanessa die Hitze spüren konnte, die vom Körper des Mädchens ausging. Oder ging sie von ihr selbst aus? Sie konnte es nicht mehr unterscheiden. Der Boden unter ihren Füßen wurde heiß, aber Vanessa konnte jetzt nicht aufhören. Sie war fast so weit, fast am Ende. Ihre Brust hob und senkte sich, und das Mädchen kam näher.
    Die Luft wurde heiß und stickig, und Vanessa keuchte. In ihrem Kopf drehte sich alles, und ihre Beine fühlten sich so schwach an,dass sie stolperte und aus dem Tritt geriet. Die Gestalt neben ihr

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