Dance of Shadows
Vanessa deshalb Justins Warnung nicht aus dem Kopf – weil Zep, genau wie der
Danse du Feu
, nur schwer zu fassen war. Obwohl er ihr Freund war, umgab ihn noch immer etwas Seltsames, Unergründliches.
»Wenn dich ein Junge ›sein Mädchen‹ nennt, bedeutet das dann, dass du seine Freundin bist?«, fragte Vanessa. Im Speisesaal herrschte Geschäftigkeit, man hörte das Klappern von Tellern und Besteck, Schüler redeten, aßen und eilten zum Unterricht.
TJs Augen leuchteten auf. »Handelt es sich bei diesem hypothetischen Freund um Zep?« Ihre Haare waren kraus und zerzaust, und ihr Aussehen stand im krassen Gegensatz zu Blaine, der neben ihr saß und in seiner dunklen Jeans, seinem engen Polohemd und seinem glatt gegelten Haar ein makelloses Erscheinungsbild bot.
»Vielleicht«, murmelte Vanessa und stocherte in ihren Haferflocken.
»Ich weiß nicht«, sagte Steffie und spielte an ihrem Ohrring herum. »Ich finde es ein bisschen vage.«
»Ein typischer New Yorker«, sagte TJ und schüttelte den Kopf, dass ihr die Locken über die Schultern sprangen. »Die Kerle wollen sich nie festlegen.«
Vanessa schaute Blaine an und hoffte, er würde das sagen, was sie hören wollte. Doch Blaine biss sich auf die Lippe. »Wenn er es ernst damit meint, dass du seine Freundin bist, hätte er das genau so sagen können«, urteilte er und tupfte sich den Mund mit einer Serviette ab. »Verstehst du?«
Vanessa nickte und schaute ernüchtert auf den Haferbrei in ihrer Schüssel. »Und was wäre, wenn all diese Mädchen nicht nur einfach wegen des Drucks aufhören, der auf ihnen lastet?«, sagte sie. »Warum sind es eigentlich immer nur Mädchen, die verschwinden? Und es ist noch merkwürdiger, dass es meistens die Solotänzerinnen sind. Wir sollten doch die Besten sein, diejenigen, die mit dem Druck fertigwerden. Es ergibt einfach keinen Sinn, dass so viele Solotänzerinnen das offenbar nicht hinkriegen.«
TJ sank in ihrem Stuhl zurück. »Das Thema schon wieder?«
»Kommt, jetzt denkt doch mal nach. Justin meint auch, dass irgendetwas daran faul ist.«
»Was glaubst du denn, was da passiert?«, fragte Steffie. »Dass jemand die Solotänzerinnen umbringt? Dass sie entführt werden? Dass man sie zwingt, aufzuhören? Warum sollte jemand so was tun?«
Vanessa drückte sich den Löffel gegen die Lippen und dachte nach. »Weiß ich auch nicht.«
»Ich glaube, Justin hat dich sehr gern und sucht nur nach einer Ausrede, damit er sich mit dir unterhalten kann«, sagte TJ.
»Darum hasst er wahrscheinlich auch Zep«, fügte Blaine grinsend hinzu.
Vanessa lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Sie war unsicher, was sie von dem Ganzen halten sollte, und sie wusste nicht, warum sie Justins Worten so viel Bedeutung beimaß. Vielleicht weil er etwas über Margarets Verschwinden zu wissen schien. Und weil sie ihm gern Glauben schenken wollte, musste sie zumindest seine Zweifel über Zep ernst nehmen. Vielleicht verstand sie aber auch noch immer nicht, warum er Anna für sie verlassen hatte – Anna, die bei den älteren Schülerinnen doch ganz klar die beliebteste war und diejenige, die den Ton angab.
»Manchmal frage ich mich, ob Zep mich wirklich mag oder ob ich für ihn nur eine Spielerei bin.«
TJ stöhnte ungläubig. »Er verbringt seine gesamte Zeit mit dir und probt für den
Feuervogel
. Wir sehen dich doch überhaupt nicht mehr.«
»Also, ich verstehe nicht, wie es möglich ist, dass du nicht vor Freude ausflippst. Wenn Zep bloß auf dem Flur mit mir zusammenstoßen würde, dann würde ich mir vor Aufregung wahrscheinlich schon ins Hemd machen«, sagte Blaine.
Die anderen lachten, aber Steffie verdrehte die Augen. »Deshalb wirst du auch den Rest deines Lebens Jungfrau bleiben.«
»Haha«, sagte er sarkastisch und tat ihre Bemerkung ab. »Aber jetzt mal im Ernst.« Blaine senkte die Stimme. »Wenn jemand wie Zep hinter mir her wäre, würde ich das auch hinterfragen. Aber der Kerl scheint dich wirklich gernzuhaben. Weißt du, wie schwer es ist, jemanden zu finden, der deine Gefühle erwidert?«
Der Ernst seiner Worte machte Vanessa so betroffen, dass sie schwieg.
»Außer natürlich, du siehst so gut aus wie ich«, sagte er grinsend.
Vanessa schüttelte den Kopf und lachte. Dann schaute sie flüchtig auf Steffies Uhr. »Oje, ist es schon neun?«, sagte sie, warf sich ihre Tasche über die Schulter und nahm ihr Tablett. »Ich muss los, ich komme zu spät zur Probe.«
»Aber es ist doch Samstag«, sagte Steffie, »und wir
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