Danger - Das Gebot der Rache
Frage. Für einen Augenblick herrschte Stille im Raum. Eine solche Stille, dass die Geräusche der anbrechenden Nacht durch die geschlossenen Fenster eindringen konnten.
»Du kennst sie?«, fragte James schließlich.
»Das hat sie dir nicht erzählt?«, hakte Bentz ungläubig nach.
James schüttelte den Kopf, dann drehte er sich auf seinem Schreibtischstuhl so, dass er aus dem Fenster blickte, statt seinen Halbbruder anzusehen. »Nein.«
»Und du hast nicht erwähnt, dass wir Halbbrüder sind?« Bentz war ein Stück zurückgewichen, fort vom Schreibtisch, um etwas Distanz zwischen sie zu bringen. Er fürchtete, dass er seinem Bruder erneut an den Kragen gehen und ihn bewusstlos schlagen könnte. Er spürte eine rohe Kraft in sich – Adrenalin, befeuert von Zorn.
»Warum sollte ich? Sie weiß nur, dass ich einen Halbbruder habe, mit dem ich zerstritten bin.« James’ Lippen verzogen sich zu einem finsteren, selbstverachtenden Grinsen. »Warum hast du es ihr nicht gesagt?«
»Wir sind nie darauf zu sprechen gekommen.«
James schnaubte wegwerfend. In dem Moment sprang die Tür zum Büro auf und schlug mit einem lauten Knall gegen die Wand.
Bentz wäre vor Schreck fast zusammengezuckt. Ein würdevoller älterer Priester kam hereinmarschiert. »Was geht hier vor?«, fragte er. Seine blauen Augen blickten herrisch, seine Stimme war tief und ärgerlich. »Warum kriechen Polizei und Presse in einem Gotteshaus herum? Ich habe einen Anruf von Mrs. Flanders erhalten. Sie wohnt ein Stück die Straße hinunter und sagte mir, es gebe irgendwelche Probleme …« Sein Blick blieb an Bentz haften, der bereits seine Dienstmarke gezückt hatte.
»Es ist ein Mord passiert, Monsignore. Hier in der Kirche«, erklärte James. »Mickey Gains.«
Die Beine des Monsignores gaben nach. Sein Gesicht wurde totenblass. »Nein … ich habe ihn doch gerade noch gesehen. Er wollte die Sakristei absperren …« Der Priester verstummte und lehnte sich gegen die Wand, schloss die Augen und bekreuzigte sich. Alles Leben schien aus ihm gewichen zu sein. »Ich kann es nicht glauben.«
»Sie haben die Türen offen gelassen?«, fragte James.
»Sie wissen, wie ich darüber denke … Aber Mickey? Du lieber Gott.« Er blinzelte, dann bekreuzigte er sich erneut und schüttelte fassungslos den Kopf.
»Erzählen Sie mir, was Sie wissen«, bat Bentz und klappte wieder sein Notizbuch auf.
»Nichts … er ist bloß einer der Jungen, die bei der Messe helfen …« Seine Stimme brach, und er vergrub das Gesicht in den Händen. »Ich kann es einfach nicht glauben.« Es klopfte, und Montoya steckte seinen Kopf zur Tür herein. Sein Blick schweifte von einem Priester zum anderen. »Sind Sie Roy O’Hara?«, fragte er, und der Monsignore nickte. Dann gelang es ihm, sich zusammenzureißen und von der Wand zu lösen.
»Ja, warum?«
Montoyas dunkle Augen suchten die von Bentz. »Es gab da vor ein paar Jahren einen Fall … Es ging um einen Jungen aus Jackson, Mississippi.«
Vater O’Hara wurde noch blasser, und Bentz zog einen Schluss. Was hatte Reggie Benchet ihm erzählt? Es habe dort einen Pädophilen gegeben, doch die Anklage gegen ihn sei fallen gelassen worden. Er habe Vater Harris oder Henry geheißen … oder vielleicht
O’Hara?
»Das Ganze war ein Missverständnis«, sagte der Monsignore, doch in seinen Mundwinkeln sammelte sich Speichel, und seine Hände zitterten. »Ein einzelner Fall, basierend auf den boshaften Lügen eines Jungen. Das Verfahren wurde mangels Beweisen eingestellt. Ich wurde versetzt. Nach St. Lukas.«
»Wurde das Verfahren tatsächlich mangels Beweisen eingestellt oder mit Hilfe von Schmiergeld?«, fragte Montoya.
»Nein – die Familie des Jungen war überzeugt, dass er log. Ich habe ihn in der Sakristei dabei ertappt, wie er unsagbare Dinge angestellt hat … es war alles ein Missverständnis.«
»Dann macht es Ihnen sicher nichts aus, mit mir in die Stadt zu fahren und eine formelle Aussage zu machen.« Montoyas dunkle Augen schweiften zu Vater James. »Sie ebenfalls.«
»Gern«, sagte James.
Montoya begleitete die beiden Geistlichen hinaus. Bentz ging ein weiteres Mal zum Altar und besah sich den Tatort. Sein Bauch sagte ihm, dass das hier das Werk desselben perversen Irren war, der die Frauen an den Heiligengedenktagen abgeschlachtet hatte. Es sei denn, ein Trittbrettfahrer ging um, es sei denn, derjenige, der Mickey Gains umgebracht hatte, hatte genügend Details aus Medien und Presse zusammengetragen,
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