Dangerous Liaison
nicht auf die Seiten konzentrieren. Seine Gedanken beschäftigten sich mit seinem Gast.
Gut sah er aus, fast zu gut. Marcel konnte sein Blut durchaus in Wallung bringen und brachte seinen Vorsatz, sich nie wieder mit Männern einzulassen, erheblich ins Wanken. Innerlich schalt er sich einen Narren, denn was wusste er schon über den Fremden? Er konnte doch genauso ein Scheißkerl wie Jesse sein. Vielleicht war das alles nur ein abgekartetes Spiel? Jetzt, wo Robin darüber nachdachte, fiel ihm ein, dass er überhaupt nicht gesehen hatte, ob die Reifen an Marcels Wagen wirklich kaputt waren. Sofort brach ihm der kalte Schweiß aus. Was, wenn der Typ von Jesse kam? Wenn...
‚Hör auf, so einen Mist zu denken!’, schimpfte Robin mit sich selbst. Jesse war weit fort, in einem anderen Bundesstaat. Er wusste nicht, wo Robin wohnte. Konnte es nicht wissen. Oder doch?
Mit zitternden Fingern klappte Robin das Buch zu und legte es zurück auf den Nachttisch, dann schloss er die Augen und versuchte, seine Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen.
Und dann geschah das, was er um jeden Preis vermeiden wollte: Er schlief ein.
Und wieder sah Robin ihn vor sich, Jesse, wie er hämisch lachte und einem Mann in einer schwarzen Robe den Wink gab, ihn zu nehmen. Robin spürte die Fesseln an seinen Handgelenken, merkte, wie sie die Haut aufschürften, hörte die Gesänge und das Gejohle der Massen.
Er wand sich im Schlaf, wälzte sich unruhig im Bett hin und her.
Marcel lag lange wach in seinem Bett, nachdem er sich entkleidet hatte und dachte über seinen seltsamen Gastgeber nach. Es war offensichtlich, dass es diesem nicht behagte, ihn hier untergebracht zu haben. Vor irgendetwas schien er sich zu fürchten, aber vor was?
Und warum hatte er ihn dennoch bei sich aufgenommen? Marcel fand Robin durchaus niedlich. Der andere besaß einen feingliedrigen Körper und die wundervollsten Augen, die Marcel je gesehen hatte. Von einem satten, tiefen Grün. Und doch stand so viel Traurigkeit und Angst in ihnen, ungewöhnlich für einen Menschen in seinem Alter.
Marcel drängte sich die Frage auf, was zu diesem Ausdruck geführt hatte, und er ertappte sich dabei, wie er in Gedanken den Kleineren in den Arm nahm und ihm sagte, dass er ihn beschützen würde. Grinsend schüttelte er den Kopf. Er wusste ja noch nicht einmal, ob Robin schwul war wie er.
Und obwohl er einen festen Freund hatte, dem er bereits vor einigen Monaten ewige Treue geschworen hatte und der sein Herz besaß, konnte er nicht vermeiden, dass Robin ihm mehr und mehr gefiel, je länger er an ihn dachte. Er wollte diese unsichtbare Mauer aus Angst und Schmerz, die Robin zu umgeben schien, zum Einstürzen bringen.
Marcel war im Grunde ein mitfühlender, sanfter Mann, der sich viele Gedanken um seine Mitmenschen machte. Und um Robin machte er sich viele Gedanken. Der junge Mann zog ihn auf magische Weise an.
Sein Blick wanderte im Zimmer umher. Die Möblierung war sparsam, aber gemütlich. Ein kleiner Kleiderschrank mit einem großen Spiegel an der Tür, ein Sessel, ein kleiner Stuhl, der runde Tisch, ein Nachtschränkchen und das Bett. Die Tapeten waren in einem hellen Blauton gestrichen, der weiche Teppich leuchtete in einem satten Gelb.
Marcels Blick fiel auf das kleine Bücherregal und neugierig erhob er sich. Verwundert stellte er fest, dass hier die Werke seines Lieblingsschriftstellers standen – Raven Hunt . Der Schriftsteller hatte bisher nur vier Werke veröffentlicht, wurde aber mittlerweile in der Schwulenszene hoch gehandelt.
‚Sieh an’, lächelte Marcel und griff nach „Die andere Welt“, einem Fantasyroman besagten Schriftstellers.
‚Entweder, Robin ist schwul, oder er liest die Literatur einfach gerne’, stellte er fest und verzog sich mit dem Buch zurück ins Bett, um ein wenig zu lesen. Doch schon nach wenigen Seiten wurde er von einem undefinierbaren Geräusch abgelenkt.
Marcel klappte das Buch zu und lauschte. Es klang wie heiseres Weinen.
Er schwang beide Beine aus dem Bett, stieg schnell in seine Jeans und öffnete die Tür. Nur kurz lauschte er, dann konnte er das Geräusch orten. Er eilte den Gang entlang und riss die Tür auf. Im Schein der Nachttischlampe erblickte er Robin, der sich mit schweißüberströmtem Gesicht in den Laken wälzte.
Klagende Laute verließen seine Lippen. Mit zwei langen Schritten war Marcel bei ihm und rüttelte ihn vorsichtig an der Schulter.
Als nächstes fand er sich auf dem Boden wieder und
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