Daniel Taylor und das dunkle Erbe
»Hast du wieder Kopfweh?«
»Hmm«, brummte er.
Vanessa trat nah an ihn heran. »Ich weiß, ich bin nicht deine Mutter und ich will dir ja nichts vorschreiben, aber du solltest zu einem Arzt gehen. Das ist nicht normal.« Sanft berührte sie seinen Arm.
»Ja, ja.« Daniel machte eine abwehrende Handbewegung und öffnete mehrmals zwinkernd die Lider.
»Daniel, meine Güte!« Vanessas Herz setzte einen Schlag aus, weil seine Pupillen so sehr geweitet waren, dass seine Augen beinahe völlig schwarz wirkten. »Nimmst du Drogen?«
»Was?! Spinnst du?« Aufgebracht warf er ihr einen düsteren Blick zu. Gott, sah er unheimlich aus! Aber auch irgendwie sexy, tatsächlich wie ein Vampir. Doch die Tatsache, dass er eventuell in etwas Illegales verwickelt war, beunruhigte sie.
»Mir ist schon mal aufgefallen, dass deine Pupillen so riesengroß sind«, sagte sie vorsichtig.
Schnell senkte er die Lider. »So ein Quatsch, jedes Kind weiß, dass sich Pupillen bei Dunkelheit vergrößern.«
Und jedes Kind weiß auch, dass sich bei Licht die Pupillenöffnung sofort verengt , dachte Vanessa, erwiderte aber nichts weiter.
Mit ihm stimmte etwas nicht. Urplötzlich dachte sie an Colleens Worte, und ein flaues Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus. War sie vielleicht wegen ihrer Verliebtheit so blind, nicht zu erkennen, dass sich Daniel tatsächlich seltsam verhielt?
Vanessa beobachtete, wie er den Deckel einer großen Tiefkühltruhe anhob und Beutel und Schachteln mit Lebensmitteln zur Seite hob. Sie seufzte leise, als sie seine große Gestalt, die breiten Schultern und sein nachtschwarzes Haar von hinten betrachtete. Ja, Daniel hatte sich verändert. Er war zum Mann geworden, einem verdammt attraktiven. Hoffentlich geriet er nicht auf die schiefe Bahn.
Auf einmal hielt er inne und starrte in die Truhe.
»Was ist los?« Vanessa stellte sich neben ihn.
»Nichts«, murmelte Daniel geistesabwesend. Er schaute weiterhin in die Truhe. Oder stand er vielleicht doch unter Drogen? War er vorhin allein auf die Terrasse gegangen unter dem Vorwand, Luft zu schnappen, um sich was einzuwerfen?
»Hat Edna kein Eis? Lass mal sehen.« Als Daniel einen Schritt zur Seite machte, sodass sie selbst einen Blick in die überdimensionale Kühlbox werfen konnte, entfuhr ihr ein Schrei. »O Gott, Daniel!« Plötzlich raste ihr Herz, und das Blut rauschte ihr in den Ohren. Er ist tatsächlich tot!
Hilfe, sie wollte nur noch hier raus! Vanessa hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, und zerrte an Daniels Arm, damit er sich endlich in Bewegung setzte. Anscheinend hatte ihn der Schock gelähmt.
»Du siehst ihn?«, fragte er so nüchtern, als ob es für ihn nichts Besonderes wäre, auf einen menschlichen Kopf zu starren, der zwischen Gemüsebeuteln hervorschaute. Die bleiche Gesichtshaut war mit feinen Eiskristallen überzogen.
Daniel hob weitere Beutel zur Seite. »Alles da«, erklärte er sachlich. »In einem Stück.« Er schloss den Deckel, auf dem er sich mit einer Hand abstützte. »Du siehst ihn wirklich?«
»Natürlich sehe ich ihn, in der Tiefkühltruhe liegt ein toter Mann!«, schrie sie. »Das muss Joe sein!«
Daniel seufzte auf. »Du siehst ihn! Du glaubst ja gar nicht, wie erleichtert ich bin.«
Was sich soeben abspielte, erinnerte Vanessa an einen schlechten Film. »Wie kannst du nur so ruhig sein?« Seine merkwürdige Reaktion konnte sie sich nicht erklären. »Du nimmst echt keine Drogen? Ich meine, da liegt Joe Adams und dich lässt das total kalt?« Ihr Puls raste wie wild, Schleier waberten in ihrem Blickfeld. Himmel, das hieß ja … Edna war eine Mörderin!
O Gott, o Gott, o Gott, ich muss hier raus! , dachte Vanessa panisch, doch vor Angst war sie wie erstarrt. Im Geiste hörte sie schon Edna nach Hause kommen und die Kellertreppen nach unten schleichen, ein langes Messer in der Hand.
»Das lässt mich nicht kalt, Nessa, ich bin nur froh, dass du ihn ebenfalls siehst«, erwiderte er und wirkte dabei tatsächlich erleichtert.
Sie schüttelte über sein Verhalten den Kopf. »Ich verstehe dich nicht.«
»Das musst du auch nicht«, sagte er kühl. »Und ich nehme keine Drogen!«
Plötzlich herrschte wieder diese Distanz zwischen ihnen, was Vanessa sehr betrübte, aber der alte Joe forderte gerade mehr Aufmerksamkeit. Über Danny konnte sie sich später den Kopf zerbrechen. »Es ist also wahr, sie hat ihn tatsächlich umgebracht«, flüsterte sie. Eine eiskalte Gänsehaut kroch über ihren Rücken. »Wir müssen
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