Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)
erzeugende Mutter ein Standardexemplar war und nicht die Ausnahme.
Mittlerweile hatte die Gruppe sich auf die zwei Matratzen verteilt, die Pollys Klavierlehrerin in ihrer Garage aufbewahrte. Das ging ohne großen Aufwand, und ich traute meinen Augen nicht, als diese sieben nach der kurzen Einlage eine Sitzgruppe bildeten. Alles ohne lauten Einpeitscher vor ihnen. Man stellt doch vor Kinder überall irgendeinen Erwachsenen hin, der für Ruhe sorgt, hatte ich immer gedacht.
Aha. Also nicht. Die fielen aber bestimmt irgendwann noch übereinander her. Wie Kinder ticken, wusste ich bisher nicht aus eigenem Erleben. Ich hatte über sie nur gehört und gelesen, zum Beispiel in den Zeitungen an Kiosken, wo ich mich manchmal herumtrieb, wenn ich mich mopste. Und in den ganzen Blättern stand landauf landab, dass die Kinder immer renitenter würden, dass die alle keine Frustrationsdings – das Wort geht noch weiter, ich hab’s grade nicht parat, ich liefere das nach – mehr hätten und keinen Respekt und unhöflich seien. Und dass die alle immer doofer würden aus irgendwelchen Gründen, die hab ich jetzt auch alle vergessen.
Des Weiteren hatte ich auch schon mal mit verschiedenen Wohnungsinhabern ferngesehen, und wenn der Kasten abends lief, äußerten sich da in unterschiedlichsten Gesprächssendungen haufenweise Eltern, deren Kinder ihnen anscheinend täglich die Bude überm Kopf anzündeten. Vereinzelte Mütter weinten, alle Väter starrten auf ihre Schuhspitzen. Ein Moderator moderierte, jeden Tag ein anderer, die anderen Teilnehmer waren meistens die Gleichen, wenn nicht sogar dieselben, und dazwischen saßen dann Experten, auch immer dieselben, die das alles noch einmal aus Expertensicht unterstrichen. In jeder Runde saß auch einer, der sagte, dass den Kindern halt gute Vorbilder fehlten, und danach sagte wieder irgendeiner, die Kinder hätten aber angefangen.
Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin, als Maus geboren zu sein! Immer wieder bin ich neidisch auf ein paar Vorteile, die Sie als Menschen haben. Ich beneide Sie zum Beispiel glühend darum, dass Sie so mühelos ans Gaspedal kommen. Aber um die Tatsache, dass ganze Generationen von Erwachsenen ahnungslos dem Phänomen Kind gegenüberstehen, darum beneide ich von Ihnen Zweibeinern niemanden, die Großen nicht und die Kleinen schon mal gar nicht.
Wir Mäuse hatten einfach nicht das Problem, dass andauernd irgendein Erster oder Zweiter Weltkrieg die Eltern im Kopf total versaut hat. Das fiel mir dann irgendwann ein, als ich mal wieder von meinem eigenen nächtlichen Kopfschütteln erwachte und mich schon wieder über Sie im Schlaf gewälzt hatte.
Im eigenen Kopf versaut, versaust du ja deine Kinder gleich mit, ist ja logisch. Irgendwann waren dann die alten Nazis fertig mit dem Kinder-Versauen, und diese Kinder dachten sich später: Wir drangsalieren unsere auf keinen Fall so, wie das die Alten mit uns gemacht haben. Wir drangsalieren die anders. Moderner. Antiautoritär. Und schon ging das Kinder-Versauen wieder von vorne los.
Sie sind auf jeden Fall eine Entdeckung! Sie sind so schillernd, Sie Menschen. Sie sind auf der einen Seite total so, und dann sind Sie aber auch total so. Man weiß einfach nie, wie man Sie denn nun korrekt beschreiben soll. Das ist ein ständiges Einerseits – Andererseits, von welcher Seite man Sie auch immer betrachtet.
Einerseits findet man einzelne Vertreter von Ihnen bei der Weltmeisterschaft der Luftgitarristen. Sie sind aber andererseits wiederum dieselbe Gattung, die nach abscheulichen Jahrhunderten einen immensen Zuwachs an Sozialverhalten aus sich herausgeholt hat. Solidargemeinschaft, Generationenvertrag, das sind Dinge, die müssen einem ja erst einmal einfallen. Das ist sogar in der ganzen Tierwelt, nicht nur bei uns Mäusen, immer wieder Thema. Man kann das nämlich auch durchaus toll finden, wie ruhig es zum Beispiel hier in Europa geworden ist. Hier foltert beinahe keiner, hier gibt es keine Todesstrafe, das ist schon ein tolles Fleckchen Erde. Dank Ihrer.
Weil Sie sich so zusammenreißen!
Sie müssen nämlich immens viel Kraft aufbringen, nicht jeden Tag mal eben mehreren Leuten ein Bein zu stellen. Denn von Natur aus juckt es Sie ganz schön.
Während sich mein Mäuseleben also in einem ständigen Wechsel zwischen dem Erleben und Erdenken Ihrer Wesensart vollzogen hatte, sollte ich nun mit den Kindern eine neue Chance als Forscherin bekommen. Wenn Jane Goodall ihr Leben den Affen
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