Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)
guckt halt nicht. Immer irgendwohin, aber nie einen an.«
»Die unterrichtet euch, aber guckt euch nicht an??«
»Ja. Genau.«
»Da hätte ich aber auch mal nachgefragt! Allein, wie man so was hinkriegt!«
»Ja, und danach kam das alles so. Dann hat die geheult, und dann war die wieder normal, obwohl, nee, nicht normal, weil, da hat die uns plötzlich alle angeguckt, bis zum Läuten. Macht die ja sonst nie.«
»Dann ist das doch ganz gut gelaufen insgesamt, ne?«
»Jetzt bin ich mal gespannt, ob die echt mit uns redet beim nächsten Mal. Glaubste, macht die?«
»Ja, glaub ich.«
Bestimmt war dies hier nicht der einzige Esstisch, an dem am Abend ein Gespräch über den Dörrlein-Vorfall stattfand.
Ich frage jetzt mal ganz doof: Es scheint für Sie in allen Altersgruppen sehr aufregend zu sein, wenn ein Erwachsener zu weinen anfängt, richtig? Wenn es dumm läuft, hat man danach einen Autoritätsverlust zu beklagen, und wenn es gut ausgeht, dann ist man hinterher mit den Zeugen des Geschehens irgendwie zusammengerückt. Habe ich das korrekt verstanden?
Gibt es bei Ihnen auch Heulsusen? Also welche, die anstatt zu wenig zu viel heulen? Ich fragte das den Felix auch, als wir später allein in seinem Zimmer waren, aber der konnte mir das nicht beantworten. Der kannte nur Erwachsene, die eher nicht heulten.
Das mit der Heulerei ist tatsächlich so eine Sache. In der Mäusewelt ist diese Art der Reaktion auch nicht hoch angesehen, glaube ich. Ich habe bisher noch nicht viel Zeit darauf verwendet, muss ich sagen. Weder aufs Heulen selbst noch aufs Darüber-Nachdenken.
Aber wenn ich mir das mal genauer anschaue, dann ist es wohl so, dass Tränen meistens Ausdruck einer eher wackeligen Gemütsverfassung sind, und das hat man grundsätzlich nicht so gerne, weil dann erst mal niemand so recht weiß, was mit einem zu tun ist. Auf die Schulter klopfen, mitheulen oder mit einer schlimmen Geschichte kontern? Und wie viel kostbare Lebenszeit dahingeht, bis sich der Heulende wieder gefangen hat, das weiß man ja auch nie.
Ich kann mich daran erinnern, dass wir es in unserer Mäusefamilie möglichst ignoriert haben, wenn jemand um uns herum in Tränen ausbrach. Wir haben dann eisern so getan, als wäre nichts, und ich meine, mein Vater hätte mal zu mir gesagt, wenn du da einmal mit Trösten anfängst, dann hast du den Schlamassel am Hals, dann schießen da ganze Wassermassen aus dem anderen raus und du kommst erst mal lange zu gar nichts mehr.
Wahrscheinlich sind wir deshalb auch so beliebte Kandidaten für die Forschung, weil wir so beinhart sind. Wenn sich eh keiner um deine Tränen kümmert, brauchst du auch gar nicht erst in deren Produktion investieren. So lautet die Losung bei uns Mäusen. Ganz ehrlich: ich würde Ihnen da nicht zur Nachahmung raten. Wir Mäuse machen verdammt vieles richtig, habe ich Ihnen ja alles schon mal geschildert. Wir haben zu den Themen Religion, Flexibilität, Humor, Völkerverständigung, Wasserski, Politik, Architektur, Nüsse, Hörbücher, neue Technologien, Nässe, Ohrschmuck, Institution Ehe, Beethoven und Sterbebegleitung durchaus den richtigen Zugang, das finde ich wirklich. Aber wie wir das mit dem Trösten machen, also, eben gar nicht machen, nein, das ist ja wie bei ganz unterentwickelten Wesen. In der Zeit, als Tim und ich gerade getrennt waren und ich ihn und mein Zuhause mit ihm so jämmerlich vermisste, da wäre ein tröstender Arm aber dringend angezeigt gewesen! Natürlich habe ich diese Krise auch allein bewältigt, natürlich bin ich nicht untergegangen. Doch eins ist sicher: Es hätte mir in keinster Weise geschadet, hätte sich mal jemand meinem Kummer gewidmet und meine Tränen ausgehalten. Das hätte weder eine Verschlimmerung der Situation nach sich gezogen, weil es schlimmer schon gar nicht mehr ging, noch hätte es mich dazu eingeladen, mich hängen zu lassen. Es hätte einzig bewirkt, dass ich mich für Momente besser und nicht ganz so aus dem Nest gefallen gefühlt hätte.
Na, siehste mal, Britta, nicht alles, was einem die Eltern so auf den Weg mitgeben, ist später brauchbar.
Felix’ Mutter gefiel mir von den Elternteilen, die ich bisher kennengelernt hatte, am besten. Die war einfach ganz normal mit ihrem Sohn. Wenn es so etwas überhaupt gibt, normal. Ich meine einfach: freundlich, geradeaus, unkitschig inklusive warmherzig. Den Vater gab es leider nicht kennenzulernen, der hatte sich frühzeitig aus dem gemeinsamen Leben verzogen, so hatte
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