Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)
so.«
»Also mein Vater hat selber keine Angst. Der sagt immer nur, dass irgendwer jetzt wieder vor ihm zittert in der Firma.«
Malte, Luise und Paul hatten also Erfahrung mit Erwachsenen und deren Angst beziehungsweise der Behauptung ihrer Abwesenheit.
Die Schulglocke bimmelte.
Aber niemand machte Anstalten, die Runde aufzulösen.
»Wisst ihr was?«, sagte Frau Dörrlein. Sie hatte im Moment nichts von der Gehetztheit an sich, mit der sie zu Beginn in den Raum gefegt war, dass sich mir fast die Schnurrhaare lösten. »Mit euch kann man sich richtig toll unterhalten. Jetzt bin ich froh, dass ich euch das von mir eben erzählt habe. Und in der nächsten Stunde machen wir mal Pause vom Plusquamperfekt. Da unterhalten wir uns einfach eine ganze Stunde. Wie findet ihr das?«
»Cool«, sprach Polly für alle aus und um sie herum: unisono Nicken.
Und damit und mit einem letzten Zwinkern, wovon man zuvor gedacht hatte, dass sie das mit ihren Augen gar nicht hinbekäme, verließ Frau Dörrlein ihre Schüler.
Ich weiß, liebe Leser, Sie sitzen da in Ihrem Lesesessel und denken, das ist doch eine von vorn bis hinten erfundene Geschichte, aber ich war ja dabei, ich habe in der Beschreibung nichts hinzugefügt und nichts weggelassen, ehrlich.
Die Kinder blieben nach dieser Stunde selbst ein wenig ungläubig zurück.
Denen konnte ich bis zum Erscheinen des nächsten Lehrers, der sich erfreulicherweise auch noch verspätete, bei einer munteren Diskussion zuhören. Ein paar Jungen rasten dabei im hinteren Teil durch den Klassenraum, die anderen erhitzten sich in einer Debatte ums Heulen, ums Nicht-Heulen, darum, ob Frau Dörrlein mit ihrem Heulen nun cool gewesen war oder uncool, ob Frau Dörrleins Sinneswandel in der Stunde wirklich echt oder nur Fake gewesen war, es ging ums Angeben und ums Abloosen. Ich kann Ihnen davon hier gar keinen tieferen Eindruck geben. Das war fast schon Philosophie.
»Heute hat die Dörrlein vor der ganzen Klasse losgeknatscht.«
Felix kaute auf seinem Abendbrötchen herum, und die Mutter machte ob dieser Nachricht kreisrunde Augen. »Was?!«
»Ja, einfach losgeheult, Kopf aufs Pult und heul, heul.«
»Warum denn das?!«
»Die hat Angst vor uns.«
»Vor wem?!«
»Uhuns! Vor uns!«
»Frau Dörrlein hat Angst vor der Klasse und fängt vor euch an zu heulen?«
»Korrekt.«
»Und hat sie euch verraten, warum sie Angst vor euch hat?«
»Weil wir immer so viele sind.«
»Das kann man ja auch nicht ahnen, wenn man auf Lehramt studiert. Versteh ich.«
»Hast du auch schon mal auf der Arbeit geheult?«
»Nee. ... Moment ... doch! Owei, jaaa, das war mir unangenehm! Das hatte ich schon wieder ganz vergessen.«
»Und wieso haste geheult?«
»Das war bei einer Talkshow mit sieben Gästen, jeder kam wieder, wann er wollte, und die Idioten sind immer wir Maskenbildner. Und dann hatte ich da so eine Moderatorin auf dem Stuhl, die hatte ein Buch geschrieben oder was weiß ich, und dann zickte die nonstop rum. Die ließ mich ständig den ganzen Mist vom Gesicht wieder runterholen und neu machen. Machte immer ts!, ließ den ganzen Raum wissen, dass ihr so was ja überhaupt noch nicht passiert sei und wie sie denn aussähe. Da kann man ja nicht sagen, das frag ich mich auch immer, wenn ich Sie sehe. Man ist ja der Dienstleister. Das war vielleicht furchtbar! Und zu allem Überfluss hab ich dann auch noch angefangen zu heulen. War mir das peinlich!«
»Ich glaub, der Dörrlein war das erst auch voll peinlich.«
»Na klar wird der das peinlich gewesen sein. Und hoffentlich kriegt die jetzt nicht ein Respektproblem.«
»Was meinste damit?«
»Na ja, wenn du erst mal vor deiner Klasse angefangen hast zu heulen, machst du danach aber nicht mehr so einfach ’ne Ansage.«
»Aber das war total gut zum Schluss! Erst natürlich: äh, voll shocking! Und dann: waren auf einmal alle Möglichen am Erzählen, und der Vater vom Malte, der hat nämlich auch mal voll losgeheult.«
»Das hat der Malte da erzählt?«
»Ja! Und in der nächsten Stunde will die Dörrlein keinen Unterricht machen, sondern mit uns reden. Cool, ne?«
»Na, das ist wirklich cool. Der ist wahrscheinlich heute einfach die Galle übergelaufen, und dann ging nichts mehr. Wart ihr denn heute besonders ätzend zu der?«
»Nee, die war zuerst ätzend zu uns! Nee, nicht ätzend, aber ... so ... bescheuert eben, und dann hat die Polly die einfach mal gefragt, warum die eigentlich nie guckt.«
»Wie, nie guckt?«
»Na, die
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