Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)
Nie!«
»Polly, das ist absoluter Bl...«
»Haben Sie eigentlich ’n Kind?«
»Sag mal, bin ich hier zum Verhör, oder was?!«
»Meine Ma guckt auch nie. Sie sind bestimmt auch so eine.«
»Ey«, Felix stupste Polly an. »Wenn die Frau Dörrlein auch ’ne Tochter hat, dann könnt ihr mal tauschen, die und deine Mutter merken ja gar nicht, wenn da die falsche Tochter reinkommt! Ha’m Sie ’ne Tochter, Frau Dörrlein?«
Spaß drohte sich unter den Kindern auszubreiten.
»Mir reicht’s, Freunde! Und die Stunde von heute, die wird nachgeholt, das sag ich euch! Ich glaub, es hakt! Kann man jetzt auf facebook lernen, wie man der Lehrerin bescheuerte Fragen stellt, oder was?! In der nächsten Klassenarbeit frag ich ganz bestimmt nicht nach meiner Augenfarbe. Und dann wär’s nicht schlecht, wenn ihr Plusquamperfekt und Präteritum unterscheiden könnt. Mit blöden Fragen kommt ihr da aber nicht hin, das sag ich euch jetzt schon mal.«
Daraufhin entstand eine seltsame Stille im Klassenzimmer.
Die Kinder starrten ihre Lehrerin erwartungsvoll an. Und niemand wird damit gerechnet haben, was dann passierte:
Frau Dörrlein holte tief Luft und atmete mit einem lauten Schluchzer wieder aus.
Zuerst dachte ich, hupps, jetzt hat sie sich verschluckt. Aber als dann der zweite Ton von ganz unten aus dem Dörrlein’ schen Bauch zu hören war, hatte ich es kapiert. Sie weinte. Auweia. Was machte man denn nun mit einer Lehrerin, die weinte?
Die Kinder sahen sich bestürzt an, während Frau Dörrlein ihr Gesicht hinter den Händen verbarg.
Es war mucksmäuschenstill. An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal bei Ihnen bedanken, dass Sie uns Mäuse bei der Beschreibung solch andächtiger Stimmungen zu Hilfe nehmen, das ist eine schöne Geste.
Nun, es war also mucksmäuschenstill.
Luise traute sich als Erste: »Äääh, Frau ... Dörrlein?«
Die Kinder sahen sich ratlos um, niemand sagte ein Wort, noch nicht einmal Otto, der Klassenclown, machte eine blöde Bemerkung.
Luise stand auf und ging zu ihrer Lehrerin ans Pult.
»Frau Dörrlein?« Sie legte eine Hand auf deren Rücken.
»Hach«, hörte man aus diesem Häufchen Elend.
Zwei, drei weitere Mädchen kamen nach vorne und unterstützten Luise beim Trösten. Der Rest saß immer noch mit aufgerissenen Augen an seinem Platz. Hinten boxten sich zwei Jungs vor lauter Verlegenheit in die Rippen.
»Jeden Morgen, jeden beschissenen Morgen das Gleiche! Jeden Morgen hab ich Angst! Krieg ich meinen Stoff durch? Gibt es Probleme mit irgendwem? Ihr seid so viele! Immer seid ihr so viele! Und andauernd muss ich alles im Griff behalten, ich hab Angst vor euch! So! Und jetzt könnt ihr mich auslachen!«
Das hätte ich vorher sagen können, dass von den Kindern nicht ein einziges lachen wollte. Die waren alle voll bei der Sache.
»Ey, wir sind Kinder! Wieso haben Sie Angst vor Kindern? Kapier ich nicht.« Paul schüttelte den Kopf. »Wenn Sie Bock haben, geben Sie mir einfach ’ne Fünf und noch eine und noch eine, und dann krieg ich keinen Abschluss und dann keinen Beruf. Und dann hab ich kein Geld zum Leben. Peng! Und Sie haben Angst vor uns, pfff, kapier ich nicht.«
»Ja, genau, wir sollen immer auf euch hören, weil ihr immer zig Jahre älter seid und alles schon erlebt und so, und ihr könnt uns voll viel tun, so, kein Internet, nicht rausgehen, Freundeverbot, ins Heim stecken und so, ey, aber wir können euch doch gar nix tun, wir können euch ja nicht Hausarrest geben und so irgendwo reinzwingen, geht ja gar nicht. Da kann man doch keine Angst haben, ey, wieso das denn?«
Das war Philipp gewesen, der von den Lehrern häufig vor die Tür geschickt wurde, das hatte ich schon mitbekommen. Frau Dörrlein hatte ihm aufmerksam zugehört. Sie weinte jetzt auch nicht mehr, sondern war hoch konzentriert.
Und sie schaute ihre Klasse an.
»Das kann ich euch gerne sagen, wieso man Angst haben kann, wenn euch das wirklich interessiert. Habt ihr gedacht, Angst haben nur Kinder? Und wenn man erwachsen ist, ist das vorbei?«
»Mein Vater hat letztens voll Angst gehabt! Und der ist schon lange erwachsen. Hat der total angefangen zu heulen und wir alle so, hö? Da waren wir bei der Therapeutin, die redet immer mit uns, damit bei uns weniger gemeckert wird zu Hause und ich das aufhöre mit dem Pinkeln.«
»Meine Ma, wenn die abends denkt, ich schlafe, dann sitzt die da und heult und sagt dann immer so Sachen, so: Ich schaff das nicht mehr, ich schaff das nicht mehr! und
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