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Dann gute Nacht Marie

Titel: Dann gute Nacht Marie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Becker
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machte sich Marie nach Beendigung ihrer Kalender-Aktion sofort auf der nächsten Baustelle, dem Badezimmer, an die Zensurarbeit. Hier war es noch einmal besonders wichtig, einen möglichst unangreifbaren Eindruck zu hinterlassen, indem man alle Utensilien und Pflegeprodukte eliminierte, die den Anschein eines verbesserungswürdigen Äußeren erwecken konnten. Niemand sollte nach ihrem Tod das Bild einer mit Pickeln, Fettpolstern und Orangenhaut geplagten Marie zurückbehalten, weil man in ihrem Bad entsprechende Cremes und Pülverchen gefunden hatte. SPEICHERN.
    Um einen besseren Überblick über ihr reichhaltiges Angebot an Körper- und Gesichtspflegeprodukten zu bekommen, verteilte Marie zunächst sämtliche Tuben, Töpfe und Dosen auf dem Badezimmerboden. Alles wollte sie nämlich nicht entsorgen, damit sie in keinem Fall den Anschein erweckte, sie hätte in den letzten Jahren nicht auf ihr Äußeres geachtet und sich gehen lassen. Einige der nun übersichtlich angeordneten Kosmetikartikel waren schon erheblich über ihrem angenommenen Verfallsdatum und mussten deshalb unverzüglich ihren Platz auf den Fliesen räumen und den nahe gelegenen Abfalleimer
aufsuchen. Uralte, zum Teil angetrocknete Cremes und trübe Wässerchen trugen nicht gerade erfolgreich dazu bei, das Bild einer regelmäßigen und durchdachten Körperpflege zu erzeugen. Ebenso wanderten auch eine unansehnliche, vor Jahren benutzte und vergessene Zahnbürste und eine halbe Packung vertrockneter Abschminktücher in den Müll. WOLLEN SIE DAS DOKUMENT WIRKLICH IN DEN PAPIERKORB VERSCHIEBEN? JA. ENTER.
    Danach machte sich Marie wieder einmal daran, das schon mehrfach bewährte Töpfchen-Kröpfchen-Verfahren einzuleiten. Die noch brauchbaren Pflegeprodukte wurden nach dem Grad ihrer Imagetauglichkeit dem Badezimmerregal oder dem Abfalleimer zugeordnet. Einige übliche Kosmetikprodukte wie Lidschatten, Wimperntusche und Lippenstifte durften bleiben. Das gehörte schließlich zum Standard einer weiblichen Kosmetik-Grundausstattung. Make-up, Kajal und Puder hatten nichts Anrüchiges an sich und konnten sich ebenfalls über einen Platz im Regal freuen. WEITER. Auch andere notwendige Pflegeutensilien wie Bodylotion, Nagellack und dessen Entferner wurden ohne lange Überlegungen zum Bleiben genötigt. Schwieriger wurde es da schon bei diversen Peelings für die verschiedenen Körperteile - Produkte für das Gesicht überlebten, die Körperpeelings wurden entsorgt, eine Anti-Aging-Creme, die sie sich einmal in einem Anfall verfrühter Midlife Crisis gekauft hatte, ebenfalls. ENTER.
    Die verschiedenst geformten Lockenwickler wurden sofort unnachgiebig weggeworfen, ein unvorteilhafter Hornhautentferner ebenfalls. Bleiben durften der Epilierer (seine Existenz wies immerhin auch auf eine gewisse
Schmerzresistenz hin), sämtliche Haarpflegeprodukte und Parfüms. Die Cellulite-Lotion wanderte in den Müll, ebenso wie der Selbstbräuner, einige ältere Haarentfernungscremes und Schlankheitspillen.
    Das Massageöl erhielt schließlich noch einen besonders exponierten Platz ganz vorne in der Mitte des Regals, war es doch ein Garant dafür, dass es in nicht allzu ferner Vergangenheit jemanden gegeben haben musste, der sie massiert hatte. Zum Glück fiel Marie gerade noch rechtzeitig vor Abschluss ihrer Badezimmerzensur auf, dass die Flasche, die sie von ihrer Mutter zum letzten Geburtstag bekommen hatte, noch voll und offensichtlich ungeöffnet war. Schnell schraubte sie den Verschluss auf, goss etwa die Hälfte des Inhalts in den Abfluss ihrer Badewanne und spülte mit reichlich Wasser nach. Dann platzierte sie die halb leere Ölflasche wie zuvor in Sichthöhe ins Regal, trat zwei Schritte zurück und betrachtete stolz das gesamte Zensurergebnis. SPEICHERN.
    Wie das Wort »Terminkalender« zuvor, so wurde nun auch der Punkt »Badezimmer« von der To-do-Liste gestrichen. Abgehakt. ENTER.
    Mit dem nahenden Abend schien jetzt auch das so sicher gewollte Lebensende bedrohlich näherzukommen. Die letzten Punkte auf ihrer Liste wollte Marie sich lieber für den nächsten - den letzten - Tag aufheben. Heute hatte sie keine Lust mehr, sich mit Kasimirs wohl traurigem Verbleib nach ihrem Tod oder mit irgendwie gearteten unappetitlichen Sterbemethoden auseinanderzusetzen.
    Als sie jetzt etwas erschöpft und undefinierbar unglücklich vor ihrer abgearbeiteten Lebens-to-do-Liste auf dem Wohnzimmersofa saß, verspürte Marie eigentlich gar keinen Drang mehr, sich von ihrer so

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