Dann gute Nacht Marie
wäre. Bei diesem Gedanken konnte sich Marie trotz ihrer Endzeitstimmung ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Die nächsten Punkte auf der »Erledigt«-Seite waren die Videosammlung, die beinahe Kasimir und auch sie
selbst das Leben gekostet hatte, die Bücher, CDs und DVDs. Abgehakt.
Sie erinnerte sich daran, wie sie ihr Büro in einer Hauruck-Aktion innerhalb eines halben Tages für die Nachwelt auf Vordermann gebracht und gleichzeitig um ihren im wahrsten Sinn des Wortes sogenannten »RestUrlaub« ersucht hatte.
Und dann war da noch, als letzter Punkt der bereits erledigten Angelegenheiten, der Kleiderschrank. Zensiert.
Sogar die Wohnung hatte sie nebenbei noch verschönert, und das gar nicht mal schlecht. SPEICHERN.
Es blieben auf der Seite der auf jeden Fall noch zu erledigenden Dinge der Terminkalender, verschiedene Erinnerungsstücke und das Badezimmer samt Inhalt. Schließlich wollte sie nicht, dass ihre Hinterbliebenen in Enthaarungscreme, Selbstbräuner und Cellulite-Lotion herumstöberten. Der unbedeutende Rest, wie ihr Konto und andere Randpunkte, musste jetzt unter den Tisch fallen. SPEICHERN.
Gerade als Marie die Liste abschließen und sich mit mühsam erworbenem Elan erneut ans Werk machen wollte, fiel ihr ein, dass die Regelung von Kasimirs Verbleib nach ihrem Tod durchaus auch zu den noch zu erledigenden Dingen gehörte. Gleichzeitig erinnerte sie sich an den Abschiedsbrief, den sie in diesem Zusammenhang an ihre Freundin Alma zu schreiben und dem sie den Tagebuchauszug über ihr Kennenlernen beizulegen geplant hatte. Es gab also doch bis morgen Abend noch einiges zu erledigen, zumal ja auch die Todesart noch immer nicht endgültig feststand. Ein weiterer Punkt auf der To-do-Liste. SPEICHERN.
Wollte sie bei dem ursprünglich ins Auge gefassten
Freitod durch Gift bleiben, dann fehlte ihr zum jetzigen Zeitpunkt dazu noch eine nicht ganz unwichtige Zutat - das Gift. Doch das sollte kein Hinderungsgrund sein. Waren alle Hinterlassenschaften sorgfältig bearbeitet, dann konnte es zur Not auch die zu Anfang verworfene Hundspetersilie oder eine ihrer Kräutergarten-Kollegen sein. Zum Selbstanbauen war es jetzt allerdings zu spät. Deshalb bot sich vielleicht eher an, auf einen besonders ausgefallenen Stoff, an den sie zunächst gedacht hatte, zu verzichten, und sich für die so gerne genommenen Schlaftabletten zu entscheiden. Die jedoch waren auch nicht im Supermarkt zu bekommen. UNTERSTREICHEN.
Man konnte allerdings auch ganz auf das Gift verzichten und eine der zahlreichen anderen Todesarten wählen, die vermutlich zum Teil einfacher anzuwenden waren. Sich vor den Zug werfen. Ins Wasser gehen. Sich aus dem Fenster stürzen. Plastiktüte. Oder so.
Marie fühlte sich plötzlich wie am doch inzwischen weit zurückliegenden Anfang ihrer Selbstmord-Odyssee. Hatte sie dafür tage-, nein wochenlang recherchiert und zensiert, dass sie jetzt am entscheidenden Punkt der Aktion quasi vor dem Nichts stand? Und sollte sie jetzt, da der Todeszeitpunkt fast gekommen war, den Abschluss des Projektes hastig überstürzen und damit den Erfolg des Unternehmens in letzter Minute gefährden?
Nein. Übertriebene Eile war keineswegs angebracht, fand Marie. SPEICHERN. Bis zum Ende der ultimativ letzten Frist blieben immerhin etwa sechsunddreißig Stunden, die, sinnvoll genutzt, durchaus für einen erfolgreichen Abschluss des Projektes ausreichen konnten. Die Suche nach der geeigneten Todesart wurde also zunächst
noch einmal verschoben und zugunsten des Abschlusses der übrigen Zensurtätigkeiten zurückgestellt.
Als Erstes nahm sich Marie ihren Terminkalender vor, da sie annahm, dass seine Zensur nicht allzu viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Immerhin enthielten die letzten zwei Monate des laufenden Jahres natürlich noch keinerlei Eintragungen, was im November nicht anders zu erwarten war. Beim Durchblättern fiel Marie sofort unangenehm auf, dass auch in den restlichen zehn Monaten nicht gerade übermäßig viele Termine und Notizen das Büchlein füllten. Das musste geändert werden. UNTERSTREICHEN. Schließlich sollte niemand den Eindruck gewinnen, Marie hätte ihr letztes Lebensjahr in der Hauptsache in den eigenen vier Wänden verbracht. Auch wenn es ehrlicherweise der Wahrheit entsprochen hätte. Aber Wahrheit war von Anfang an nicht im Geringsten der Maßstab dieser Lebenszensur gewesen. UNTERSTREICHEN. Also mussten neue Termine her. Eintragungen. Notizen. Stichpunkte.
Marie holte sich unterschiedliche Stifte
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