Dann gute Nacht Marie
Frauchens in der letzten Zeit Gedanken zu machen. Er hatte sein morgendliches Fressen bekommen, mehr war im Moment nicht zu erwarten, dachte er wohl. SPEICHERN. Als Marie ihr Frühstücksgeschirr abspülte, meinte sie einmal, im Klappern des Porzellans das Klingeln des Telefons gehört zu haben. Als sie aber im Flur ankam, stand es wie immer still und stumm an seinem Platz, und auch der Anrufbeantworter blinkte nicht. Zur Sicherheit hörte Marie ihn noch einmal ab, obwohl sie wusste, dass er in der kurzen Zeit gar keine komplette Nachricht hätte aufnehmen können. Sie musste sich damit abfinden, dass Lutz Maibach offensichtlich nicht mehr oder auch noch nie irgendein über die Krimi-Recherche hinausgehendes Interesse an ihr gehabt hatte. Schade. SPEICHERN.
Im Anschluss an ihre diversen hausfraulichen Tätigkeiten - in Ermangelung einer Beschäftigung hatte sie auch noch die Böden und das Bad geputzt - saß Marie auf ihrem Sofa, Kasimir auf dem Schoß, und wusste nicht mehr weiter. Der Vierbeiner drehte sich auf den Rücken, genoss den Körperkontakt, den er in den letzten Wochen meistens hatte entbehren müssen, und schnurrte angenehm überrascht. Marie dagegen hätte heulen können. UNTERSTREICHEN. Sie ärgerte sich über sich selbst, über Lutz, über alle, von denen sie sich im Moment besonders unverstanden fühlte. Und ihren Kater
hinderte das Unglück seines Frauchens offensichtlich nicht daran, seine improvisierte Wellness-Oase zu genießen. Sie war nur von selbstzentrierten Egoisten umgeben. SPEICHERN.
Für diesen Zustand fiel Marie nur eine Änderungsmöglichkeit ein: Plan B musste wieder Plan A werden, und Plan A wurde nicht Plan B, sondern musste direkt in die Tonne. WOLLEN SIE DAS DOKUMENT WIRKLICH IN DEN PAPIERKORB VERSCHIEBEN? JA. ENTER. In ihrer momentanen ausweglosen Situation brauchte sie keinen Kriminalroman mehr, jetzt brauchte sie wieder nur noch das so sorgfältig geplante Lebensende, das sozusagen noch in der Zwischenablage auf seinen Einsatz wartete. EINFÜGEN. Nachdem das meiste bereits vorbereitet war, war sich Marie ziemlich sicher, dass der Rest bis zum morgigen Abend und damit vor Arbeitsantritt durchaus zu schaffen war. Sie versuchte, sich den ursprünglich geplanten Ablauf ins Gedächtnis zurückzurufen, was gar nicht so einfach war, da sie sich in den letzten Wochen - im Übrigen völlig sinnlos - nur noch mit Krimi-Recherche und Männerfang beschäftigt hatte. Doch da war Abhilfe zu schaffen.
Zunächst ging Marie in die Küche, um sich - wie meistens, wenn sie in Ruhe nachdenken musste - einen Tee zu machen. Kasimir trottete - auch wie meistens - hinter ihr her, in der Hoffnung, die eine oder andere Leckerei unabsichtlich oder auch gewollt abzubekommen. Heute fiel wieder einmal - wie meistens - nichts für ihn ab, und er trottete enttäuscht zurück ins Wohnzimmer und leckte sich unzufrieden Schnauze und Pfoten. Marie folgte wenig später mit ihrer Teetasse und ein paar trockenen Keksen, die sie noch im Küchenschrank gefunden hatte.
Neue Lebensmittel zu kaufen hatte jetzt keinen Sinn mehr, schließlich wollte sie nach ihrem Tod nicht neben einem ranzigen Stück Butter oder einer verschimmelten Tomate gefunden werden. So langsam stellte sich das ihr wohlbekannte Gefühl wieder ein. Jenes Gefühl, das sie bis vor einigen Tagen so sorgsam kultiviert und dann wegen diverser Nichtigkeiten etwas vernachlässigt hatte: das Gefühl, am Ende ihres Lebens zu stehen und nichts mehr zu verlieren zu haben. Dieses Gefühl würde sie nicht noch einmal aufgeben, um einem wie auch immer gearteten Hirngespinst nachzujagen. SPEICHERN.
Marie machte sich auf die Suche nach ihrer To-do-Liste, die sie kurze Zeit später in der Schublade ihres Nachtkästchens fand. Sie musste erst einmal ihre Gedanken, die immer noch gegen ihren Willen um Lutz Maibach kreisten, sortieren. Nun ging sie noch einmal die einzelnen Bereiche durch, die sie in den vergangenen Wochen mit unerschöpflicher Energie Stück für Stück für die Nachwelt zensiert hatte.
Liebesbriefe, Tagebücher und Fotos. Erledigt.
Fast mit etwas Wehmut erinnerte sie sich jetzt daran, mit wie viel Sorgfalt und Liebe zum Detail sie noch vor wenigen Wochen angefangen hatte, für die Nachwelt ein zum Teil neues Leben der Marie Hartmann zu erschaffen. Sie dachte daran, wie sie erst den beruflichen und dann den privaten Computer bis ins hinterste Eck der Festplatte ausgemistet hatte, was auch ohne Selbstmordabsichten schon lange an der Zeit gewesen
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