Dann gute Nacht Marie
wenigen Leuten wirklich Kontakt gehabt, dass keiner ihre kleine Beziehungskorrektur bemerken würde. Und da die gefälschten Briefe alle nicht datiert waren, konnte jeder denken, der eine oder andere ihm unbekannte Flirt sei in einer der vielen
Kontaktpausen passiert. Und sogar Alma war bis vor Kurzem ein Jahr beruflich in London gewesen, sodass auch diese eigentlich so herzliche Freundschaft etwas auf Eis gelegen hatte. In dieser Zeit hatte sich Marie noch etwas mehr zurückgezogen, was sie jetzt mit dem Erfinden neuer Flirts und Beziehungen mühsam wieder ausbügeln musste. Hätte sie das mal früher gewusst!
Nachdem sie sich in ihren Briefen, wie sie meinte, nun genügend selbst beweihräuchert hatte, las sie alle selbst erdachten Texte noch einmal durch und steckte sie, allesamt für gut befunden, in verschiedene Kuverts, die sie zum Teil wieder aus dem Abfall holte. Schließlich wurde die Fälschung umso glaubwürdiger, je unterschiedlicher das Material war, das zum Einsatz kam. Und die zunächst entsorgten Umschläge waren immerhin aus verschiedenen Jahren, wodurch sie sogar jeder Echtheitsprüfung standhalten würden. Nicht dass Marie eine solche bezüglich ihres Nachlasses erwartet hätte - das wäre wohl auch etwas vermessen gewesen -, aber man konnte ja nie wissen.
So entstand im Laufe dieses Samstags ein recht ansehnlicher Stapel aus einigen echten und etwas mehr unechten Liebesbriefen, die aber an Romantik und Gefühl kaum zu überbieten waren. So manche Angebetete hätte sich glücklich geschätzt, derart ausführliche und liebevolle Zeilen von einem ihrer Verehrer zu bekommen. Vielleicht war es sowieso das Beste, sich bei der Beurteilung der eigenen Qualitäten nicht auf irgendwelche Männer, sondern auf sich selbst zu verlassen, überlegte Marie und schloss einigermaßen zufrieden die Schuhschachtel und damit das erste Kapitel ihrer Lebenszensur für die Nachwelt. SPEICHERN.
Bei aller sicher notwendigen Vergangenheitsbewältigung wollte Marie aber nicht die Zukunft aus den Augen verlieren. Diese würde zwar nicht mehr allzu lange andauern, sollte aber schließlich zum bestgeplanten Teil ihres Lebens werden. Deshalb konzentrierte sich Marie nun wieder auf die Organisation ihres Ablebens, denn dafür war noch einiges an Recherche nötig. Todesart, -ort und -zeitpunkt waren noch völlig offen und sollten keinesfalls spontan gewählt werden. Als Informatikerin und Computerexpertin entschied sich Marie natürlich für das Internet als adäquates Recherchemedium. AUSWÄHLEN. Mit einer weiteren Tasse Tee und ihrem Laptop machte sie es sich mit ihren Utensilien unter den strengen Blicken von Kasimir auf dem Sofa im Wohnzimmer bequem und loggte sich im Netz ein. SUCHEN.
Sehr bald schon zeigte sich, dass sich die üblichen Suchmaschinen für die Planung des eigenen Todes als komplett untauglich erwiesen. Sie lieferten zwar eine Unmenge an spektakulären und auch weniger interessanten Geschichten über die unterschiedlichsten Todesfälle, ließen einen aber mit der Frage nach Vorbereitung, Durchführbarkeit und Erfolgsquote ziemlich im Stich.
Noch schlimmer: Die Seiten, die sich im Internet mit dem Thema Selbstmord beschäftigten, hatten in der Hauptsache seine Vermeidung, Therapien und das Schicksal der Angehörigen zum Inhalt. Also genau die für Marie gänzlich unerheblichen Aspekte. Fast musste sie befürchten, von ihrer bei klarem Bewusstsein getroffenen Entscheidung abzukommen, falls sie sich allzu lange mit derart kontraproduktiven Websites beschäftigte. Dieser Gefahr wollte sie sich unter keinen Umständen aussetzen. VERWERFEN.
Der Fall lag klar: Marie musste sich der Thematik von einer unverfänglicheren Seite nähern. Der Selbstmord musste sich sozusagen nicht als Ziel, sondern vielmehr als eine Art Nebenwirkung darstellen, zumindest für die Dauer der Recherche. Die Begriffe »Suizid« und auch »Tod« waren demnach als Suchbegriffe vollkommen ungeeignet. GEHE ZU … Gegen null Uhr wagte sich Marie auf neues Terrain und fütterte ihren Computer mit den verschiedensten Möglichkeiten, auf unverfängliche Art den Tod zu finden.
Sie inspizierte die Homepages von Gartencentern, Baumärkten und Elektrofachgeschäften. Möglichkeiten boten sich hier genug. Diese Läden priesen eine Vielzahl geeigneter Tatwerkzeuge zu durchaus erschwinglichen Preisen an. »Zwei Heckenscheren zum Preis von einer« versprach beispielsweise ein Gartencenter in Schnäppchenlaune, konnte Marie damit allerdings gar nicht
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