Dann gute Nacht Marie
locken. Hätte sie sich mit einer Heckenschere umbringen wollen (auf welche Weise, war ihr selbst nicht klar), dann ganz bestimmt nicht »stereo«. Außerdem hatte sie in den vergangenen Jahren aufgrund ihres recht einsamen Lebens kaum Geld für Nicht-Lebensnotwendiges ausgegeben und so eher ungewollt ein nettes Sümmchen angespart. Marie konnte sich ihren Selbstmord also durchaus etwas kosten lassen.
Diese Erkenntnis brachte Marie zu vorgerückter Stunde auf die Idee, das Problem von einer ganz anderen Seite zu betrachten. Jede Form von Discountern wurde kategorisch ausgeschlossen, zumal sie die zuletzt recherchierten Todeswerkzeuge von der Gartenharke bis zur Bohrmaschine alle in einer äußerst blutigen Art und Weise und mit optisch ziemlich unvorteilhaftem Ergebnis
hätte anwenden müssen. Was in jedem Fall denkbar ungeeignet war für die posthume Imagepflege.
Wenn auch keine endgültige Lösung des Problems, so hatte diese Nacht durch den Ausschluss verschiedener Optionen trotzdem ein ziemlich zufriedenstellendes Ergebnis erbracht: Maries Todesart musste äußerliche Unversehrtheit garantieren und mit nicht unerheblichen Kosten verbunden sein, also eine gewisse Exklusivität ausstrahlen, um von ihr den Zuschlag zu bekommen. Durch diese beiden Charakteristika konnte sie nun sehr schnell weitere Möglichkeiten endgültig ausschließen.
Tod durch Ertrinken. Zu üblich und zu unvorteilhaft. Schon allein in der Literatur waren die Beispiele zahlreich, wo Autoren wie zum Beispiel Gottfried Benn sich allzu ausführlich über die unappetitliche Entstelltheit weiblicher Wasserleichen ausließen. Wer nur eines dieser Gedichte gelesen hatte, konnte in keinem Fall ernsthaft eine derartige Tötungsart für sich in Erwägung ziehen. Denn wer wollte schon mit einem von Ratten zerfressenen Körper enden? VERWERFEN.
Tod durch Sturz aus großer Höhe. Türme, Berge und Brücken, die man völlig umsonst oder für einen geringen Eintrittspreis erklimmen konnte, gab es schließlich zur Genüge. Aber zerschmettert machte man einige Meter tiefer dann wohl auch keine sehr gute Figur mehr. Also auch Fehlanzeige.
Tod durch Autounfall. Die finanzielle Investition beschränkte sich in diesem Fall, so man wie Marie ein Auto besaß, je nach Todesort auf den Preis höchstens einiger Liter Kraftstoff, der trotz des erhöhten Benzinpreises für Marie nicht im Geringsten einem dem Anlass angemessenen Kostenumfang gleichkam. Ganz abgesehen davon,
dass man bei einer derartigen Lösung des Problems seine körperliche Unversehrtheit kaum optimal in der Hand hatte. Ging das Auto nach dem Aufprall in Flammen auf, so musste sie ihren Tod im schlimmsten Fall als verkohltes Gerippe fristen, was dem posthumen Schönheitsideal keinesfalls zuträglich war. Zeit für biologische Abbauvorgänge war später unter der Erde immer noch genug. VERWERFEN.
Da nun klar war, dass nicht nur die Zensur des bisherigen Lebens, sondern sogar die Planung des Lebensendes selbst eines nicht unerheblichen Zeitaufwandes bedurfte, den Marie aber aufgrund der Wichtigkeit der Aktion nicht umgehen konnte, beendete sie gegen vier Uhr morgens ihre Internet-Recherche vorübergehend, um mit ein paar Stunden Schlaf Kraft für die nächsten Punkte ihrer To-do-Liste zu sammeln.
In der Gewissheit, trotz unerwarteter Widerstände bei ihrem Vorhaben einige Schritte weitergekommen zu sein, legte sich Marie in dieser Nacht zum ersten Mal seit Langem erschöpft und zufrieden in ihr Bett und schlief ruhig und traumlos in einen Oktober-Sonntag. SIE KÖNNEN DEN COMPUTER JETZT AUSSCHALTEN. ENTER.
3
DOKUMENT 3. Mit dem Sonntag lieferte das Wochenende einen weiteren sonnigen Herbsttag frei Haus, den Marie allerdings erst registrierte, als sie gegen Mittag vom schrillen Klingeln des Telefons geweckt wurde.
»Hier ist deine Mutter!« Diese Begrüßung drang nicht minder schrill durch den Hörer an Maries Ohr. Bei Monika Hartmann hatte man am Telefon immer das Gefühl, sie wolle die Distanz zwischen den Beteiligten allein durch Lautstärke überbrücken. Früher als Kind hatte Marie das lustig gefunden, inzwischen nervte es sie. LAUTSPRECHER … AUS.
»Wie geht es dir denn, Kind? Was gibt es Neues?« Immer die gleichen Fragen zu Beginn, und jedesmal vermittelte die Mutter ihr damit das Gefühl, kein abwechslungsreiches Leben zu haben. Und da es auch diesmal nichts Neues zu berichten gab, antwortete Marie nur einsilbig: »Nichts. Warum rufst du denn an?«
»Hör zu, der Papa und ich möchten
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