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Dann gute Nacht Marie

Titel: Dann gute Nacht Marie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Becker
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verbrachte Marie lange nicht mehr so viel Zeit vor dem Spiegel wie zuvor vor dem Kleiderschrank. Sie föhnte die Haare noch einmal kurz nach und knetete sie mit etwas Wachs zu einer voluminösen Mähne. Danach legte sie ein wenig Make-up, Lidschatten, Rouge und Lipgloss auf - fertig. Mit dem Ergebnis durchaus zufrieden, zeigte sie ihrem Spiegelbild den nach oben gestreckten Daumen. Perfekt. SPEICHERN.
    Ganz gegen ihre sonstigen Gewohnheiten saß Marie schon um halb acht komplett gestylt auf ihrem Sofa und sah ungeduldig auf ihre Armbanduhr. Die verbleibenden Minuten hätte sie wunderbar für die weitere Themenfindung des Krimis nutzen können, doch leider war sie zum jetzigen Zeitpunkt dafür viel zu aufgeregt. Kasimir schlich verwirrt immer wieder um die Couch samt Marie herum und warf ihr in gewissen Abständen sichernde Blicke zu, als warte er auf das Losbrechen eines Sturms aus ihrer Richtung. In den letzten Tagen schienen ihm
mit seinem Frauchen merkwürdige Veränderungen vor sich zu gehen, die er zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht klar zuordnen konnte. Ob sich diese Veränderungen für ihn positiv oder negativ auswirken würden, war auch noch nicht ausgemacht. Einerseits vergaß diese leicht verwirrt wirkende Frau ab und zu, das Futter rechtzeitig zuzubereiten, andererseits gab es danach wegen des schlechten Gewissens gerne mal die doppelte Portion oder einige Zusatz-Leckereien, so schien er abzuwägen. »Nicht gerade gut für die Figur, aber durchaus förderlich für die etwas angespannte Katerstimmung«, meinte Marie in seinem Blick zu lesen. UNTERSTREICHEN. Doch vermutlich war das nur Einbildung. Kasimir hatte sein Frauchen schließlich noch nie in einer solchen Aufmachung wie jetzt gesehen - er kannte sie ja erst seit drei Jahren. Und in diesen hatte sie an kaum einem Tag etwas anderes angehabt als Jeans, T-Shirt, Pulli oder Kapuzenjacke. Kein Wunder also, dass er sich vor lauter Verwirrung nicht traute, sich dieser fremd aussehenden Frau zu nähern.
    »Keine Sorge, mein Lieber, innen bin ich immer noch die alte«, beruhigte Marie das Tier und war sich im gleichen Moment nicht sicher, ob diese Aussage so ganz der Wahrheit entsprach. War sie wirklich noch dieselbe wie vor ein paar Wochen? Fühlte sie sich noch genauso? Oder waren mit ihr in den letzten Tagen auch Veränderungen vor sich gegangen, die nicht nur ihr Äußeres betrafen?
    Als es um Punkt acht an der Tür klingelte - natürlich, der korrekte Herr Maibach -, erschrak Marie, obwohl sie seit einer halben Stunde auf genau dieses Klingeln gewartet hatte. Sie warf im Vorübergehen noch einen prüfenden
Blick in den Spiegel neben der Garderobe - die Frisur saß, alles andere auch -, nahm Tasche und Schlüssel von der Kommode und verließ die Wohnung. Im Treppenhaus auf dem Weg nach unten dachte sie kurz darüber nach, welche Begrüßungsworte denn nun angemessen wären (Warum hatte sie das nicht in der letzten halben Stunde getan?), entschied sich dann aber, einer hoffentlich gleich vorhandenen spontanen Eingebung zu folgen. Sollte doch der korrekte Herr Maibach erst einmal vorlegen, sodass sie nur noch antworten musste. KOPIEREN.
    Sie öffnete die Haustür und hörte: »Wie schön, Sie zu sehen! Sie sehen ja wieder bezaubernd aus.«
    Dann sah sie ihn - wie immer: Jeans, Hemd, Sakko - und antwortete leider ganz nach ihrem gerade entwickelten Konzept: »Hallo. Sie aber auch.« RÜCKGÄNGIG? LÖSCHEN?
    Einen peinlicheren Einstand konnte es kaum geben, fand Marie. Dass sie mit Komplimenten dieser Art überhaupt nicht umgehen konnte - immerhin hatte sie in den letzten Jahren kaum Gelegenheit dazu gehabt -, musste der nette Dozent nun wirklich nicht ausbaden. Also fügte sie möglichst schnell noch einen - etwas intelligenteren - Satz hinzu, um unauffällig von der Anfangspleite abzulenken: »Ich bin schon sehr gespannt, was Sie sich für den heutigen Abend ausgedacht haben.« Na gut, es war nicht der Einleitungssatz der Einleitungssätze, aber immerhin mit einer deutlich wahrnehmbaren Aussage, die auch noch fehlerfrei vorgetragen war. UNTERSTREICHEN.
    Lutz Maibach schien auch durchaus beeindruckt, aber zum Glück keineswegs sprachlos: »Zunächst einmal habe ich geplant, dass wir möglichst bald dieses lästige
›Sie‹ ad acta legen und zu einem, wie Sie sehen werden, viel angenehmeren ›Du‹ übergehen. Ich hoffe, Sie haben da keine Einwände? Zugegebenermaßen duze ich üblicherweise meine Studentinnen nicht, aber ich denke, in Ihrem Fall kann ich da

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