Dann gute Nacht Marie
musste nun einfach die Geschichte eines anderen herhalten. Maries Füße begannen sofort wieder zu pochen. Bevor sie in Kürze hier in aller Öffentlichkeit und vor allem vor Lutz Maibach komplett das Gesicht verlor und ihrem Dozenten nie mehr unter die Augen treten konnte, musste sie sich wohl oder übel ihres bereits recherchierten Wissens bedienen. Wofür wäre denn die bisherige Themensuche sonst gut gewesen? Marie entschied sich dafür, zum Angriff überzugehen. Augen zu und durch. WEITER.
»Also gut.« Irgendwie hoffte sie immer noch auf einen Einspruch oder irgendetwas, das sie vor einer unrühmlichen Karriere als Plagiatorin retten würde.
Nichts. Lutz sah sie erwartungsvoll an. Es gab kein Zurück.
»Der Protagonist, Namen weiß ich noch nicht, lernt an einer Hotelbar eine attraktive Frau kennen, mit der er flirtet. Als er sich verabschieden will, eröffnet sie ihm, dass sie seinen Drink vergiftet habe und er in zehn Stunden sterben werde. Er glaubt ihr nicht und geht.« Prüfend blickte Marie ihrem Gegenüber in die Augen, um herauszubekommen, wie »ihr« Krimikonzept ankam. Der Roman war immerhin ins Ausland verkauft worden, konnte also so schlecht nicht sein.
»Sehr interessant«, meinte Lutz jedoch nur und zwang Marie durch sein gespanntes »Und wie geht es weiter?«, sofort noch einen Schritt von ihrer irrealen in eine illegale Autorenexistenz zu tun. RÜCKGÄNGIG?
»Als er allein in seinem Hotelzimmer ist, setzt die Übelkeit ein. Da wird ihm klar, dass die Frau keinen Scherz gemacht hat. Er fährt los, um sie zu finden, denn nur sie hat das Gegengift, das seinen Tod in zehn Stunden verhindern kann.« Marie war stolz auf sich. Obwohl sie diese Geschichte in einer absoluten Kurzschlusshandlung für ihre Zwecke ausgewählt hatte, passte sie nahezu perfekt in ihr Konzept. Die Suche nach einem so langsam wirkenden Gift, zu dem es noch dazu ein bestimmtes Gegengift gab, würde ihre Recherche an der Universität glaubwürdig erscheinen lassen. Schließlich war es für einen toxikologischen Laien nicht gerade einfach, Stoffe mit genau diesen Eigenschaften zu finden.
Zufrieden lehnte sie sich zurück. Die Schmerzen am Fuß waren fast vergessen. Lutz sagte nichts, er schien extrem beeindruckt. Vermutlich hatte sie ihr Problem in diesem Moment für immer gelöst. Genauer musste man die Story nicht kennen, um ein geeignetes Gift zu finden.
Und sollte der Dozent doch noch einmal nachfragen, konnte sie jederzeit weitere Details der vorhandenen Geschichte klauen.
»Ist das nun Zufall?«
Marie verstand nicht ganz, was er meinte. »Bitte?«
»Diesen Krimi gibt es schon.«
Oh nein!
»Er heißt ›Blondes Gift‹ und ist von Duane Louis. Vor zwei Jahren in Deutschland erschienen. Als absoluter Krimifan ist der mir natürlich ein Begriff. Noch nie was davon gehört?«
Auch das noch. Krimifan. Na, bravo. »Ich … äh.« Mehr brachte Marie nicht heraus. Weg war ihr Stolz auf den genialen Plagiatseinfall, dafür das Pochen in den Fersen wieder da.
»Ist dir nicht gut?« Was fragte er denn so blöd? Wie sollte einem schon zumute sein, wenn man von seinem ersten Date seit Jahren gerade des geistigen Diebstahls überführt worden war? Lutz sah zwar aus, als könnte er sich auf das Ganze noch keinen rechten Reim machen, doch lange würde das sicher nicht anhalten. Für diesen Fauxpas gab es keine plausible Erklärung, falls sie nicht die Karten auf den Tisch legen wollte. Und das konnte sie in keinem Fall. Nun war es mit Angriff nicht mehr getan, jetzt half nur noch Flucht. SPEICHERN.
»Ich muss mal kurz …« Und weg war sie.
Auf der Damentoilette schloss Marie sich in einer der Kabinen ein und überlegte fieberhaft, wie sie möglichst elegant ihren sofortigen Rückzug einleiten sollte. Leider konnte sie ihm schlecht ihre aufgeriebenen Fersen unter die Nase halten, obwohl die einen wirklich bemitleidenswerten Eindruck machten. Mit der Wahrheit kam
sie auch nicht weiter, und auf der Toilette übernachten konnte sie ebenso wenig. Also …
Marie kehrte zu Lutz an den Tisch zurück und setzte sich. Eine Weile saßen sie einander schweigend gegenüber, doch sein fragender Blick schien dringend eine Erklärung zu fordern. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus, griff nach ihrem Weinglas, als wollte sie einen Schluck nehmen, und schüttete sich den Inhalt - scheinbar unabsichtlich - über die Hose. Gespielt erschrocken sprang sie auf. »Oh nein, wie ungeschickt!« Im Gegenteil, die Aktion war filmreif.
»Kann ich
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