"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)
einflussreichen Stellen des Verlags. Und als das Haus schwer verschuldet unaufhaltsam dem Abgrund entgegentaumelte, spielte ich dieses Netzwerk aus.
Gemeinsam verstärkten wir – eine sich nie konstituierende Interessensgemeinschaft aus Ressortleitern, Redaktions- sowie Verlagsschwergewichten und den wichtigen Kollegen an den entscheidenden Schnittstellen – eine Situation, in der die Möglichkeit entstand, die bis dahin regierende und – nach Ansicht vieler – überforderte Chefredakteur-Doppelspitze abzusetzen. Dass wir statt ihrer inthronisiert würden, war in dieser Konsequenz nicht vorgesehen. Die Stimmung war klar auf unserer Seite.
Im Oktober 2002 war sie endgültig gekippt. Ich saß also zu Hause in Hofheim, und es war klar: An diesem heißen Abend im tristen Herbst werden rund 20 Kilometer entfernt Entscheidungen von enormer Tragweite getroffen. Für mich persönlich waren diese enervierenden Stunden auf einen einfachen Nenner gebracht: Klettern oder Fallen.
Es war ein in jeder Hinsicht bemerkenswerter Abend, unter anderem auch ein Abend, an dem ich Gabi richtig kennenlernen sollte. Ich war aufgelöst, nervös, ein Bündel aus Bedenken und Gedanken. Ich wollte Worte machen, anreden gegen die Angst vor dem, was kommen könnte. Ich war so oft bei jedem noch so kleinen Mist für Gabi dagewesen, hatte sie animiert, motiviert, mit ihr Vokabeln für ihren Job als Flugbegleiterin gebüffelt – noch heute kann ich diese so genannten Three-Letter-Codes für die Flughäfen dieser Welt in- und auswendig. Jede Klage über verschüttete Milch an Bord hatte ich mir angehört. Als ich nun aber reden wollte, Ablenkung suchte, Zerstreuung, war die Antwort: »Ach, Christian, ich kann doch damit nichts anfangen …« Das saß. Das vergaß ich nicht.
Die interne Kommunikation war nicht in Gang zu bringen. Also suchte ich die fernmündliche. Doch auch bei der FR hieß es: »Sorry, noch nichts Neues.« Alles blieb beim Alten, die ganze Nacht.
Der neue Tag begann vor einem grau gestrichenen Heizkörper im zweiten Stock des Zeitungshaues. Hinten an den Toiletten, unweit des Paternosters, traf ich Dr. Storz, den designierten neuen Chefredakteur, der mich stoppte und mehr oder weniger um meine Hand anhielt. Ich sollte unter ihm neuer CvD werden. Der alte rückte mit in die Chefredaktion. Und von sofort an galt: »Le roi est mort, vive le roi!«
Danach drehte sich alles immer schneller.
Ein Relaunch wurde angeregt, geplant und bis ins letzte Detail konzipiert. Berge von Mails wurden verschickt, Briefe geschrieben, Strategien entworfen, Untersuchungen veranlasst. Diskussionsrunden, kleine und große und noch größere standen auf der Tagesordnung und manchmal auch auf der der Nacht. Es gab ein Programm, rund um die Uhr: Frankfurter Rundschau .
Unmittelbar nach dieser kompletten Neugestaltung der Zeitung, die den Auflagenschwund stoppen, die Qualität heben und einen Mehrwert bieten sollte, im April 2003 also, beendete ich die Beziehung zu Gabi. Einfach so. Es war Sonntag, der 6. Es musste dieser Tag sein, kein anderer. Ich spürte es. Irgendwer hatte mir mal gesagt: Irgendwann wirst du aufwachen und wissen, heute ist der Tag. Genau so war es. Doch es dauerte bis zum späten Abend, ehe ich »meinen Tag« seiner Bestimmung zuführte.
Ich werde nie den Dialog vergessen, der das laute Schweigen zwischen uns beendete und auslöste, was nie mehr zurückgeholt werden konnte. Nur selten saßen wir noch gemeinsam vorm Fernseher. Wir machten überhaupt kaum noch etwas gemeinsam. Ich war bei der FR , Gabi war bei Thorsten. Er war ihr das Eine, Sie ihm das Alles. Thorsten & Gabi, das wäre das Paar gewesen. Sie hatten Leidenschaft füreinander, waren kreativ, konnten gemeinsam lachen, wollten Zeit miteinander verbringen. All das eben, was ich mit Gabi nie oder nur selten konnte. All das, was ich ihr nicht bieten konnte oder wollte. Gabi fand in der platonischen Liebe zu Thorsten die Erfüllung, diese Geborgenheit und Heimat, die sie bei mir vergeblich suchte.
Wenn Gabi am Nachmittag in den Keller zur Waschmaschine ging, verabschiedete ich mich schon mal von ihr, denn sie kam meist nicht vor, eher weit nach Mitternacht wieder zurück. Auf dem Weg nach unten oder spätestens auf dem nach oben musste sie an Thorstens Wohnung vorbei. Wir hatten uns bei dem Eigentümer der Wohnung starkgemacht, dass Thorsten diese Wohnung bekam. Und der Vermieter hatte nichts gegen ein schwules Paar. Also zogen Thorsten und Claus ein. Aber eigentlich zog
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