"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)
war ich wohl ein Verräter. Das Tischtuch zwischen uns war nicht zerschnitten, es war zerfetzt. Binnen kürzester Zeit wurden aus der verschworenen Gemeinschaft Antagonisten. Zumal ich für die Neugründung auch noch den Chefgrafiker abwarb. Mir war es egal, Hauptsache, es ging weiter.
Mit der gleichen Verve wie stets ging ich an die Aufgabe heran. Ich vertraute vor allem mir selbst – entwarf und entwickelte, baute auf und holte dann loyale Mitstreiter. Ich brachte mir das Chef-Sein selbst bei: Gehaltsgespräche, Vorstellungsgespräche, Einstellungsgespräche. Eine One-Man-Show mit kleiner, verlässlicher Crew. Ich führte plötzlich eine Firma, main.sign , ein ganz neues, ganz anderes »Baby«. Und ich denke, wir hatten Erfolg. Ich zog sogar externe Kundschaft heran, die teilweise noch heute an Bord ist.
Doch der angekündigte Untergang der Eigenständigkeit war nur eine Frage der Zeit. Das Druck- und Verlagshaus hatte bedenkliche Schlagseite. Nur mit einer (christdemokratischen) Landesbürgschaft konnte sie sich über Wasser halten, flottgemacht werden sollte sie von der (sozialdemokratischen) Verlagsgesellschaft DDVG, die ihre schnelle Eingreiftruppe nach Frankfurt schickte, um das Unternehmen zu beraten und zu betreuen. Und das hieß vor allem: sparen, stutzen, sozialplangetrieben Stellen streichen.
Eine große Koalition zum Erhalt der Frankfurter Rundschau . Überparteilich, abhängig. Viele im Haus konnten mit dieser Konstellation schwer leben. Ich war pragmatisch. Hauptsache, es geht weiter. Also arbeitete ich mit und protestierte nicht. Gehen? Das Risiko schien mir größer, als zu bleiben. Außerdem: Ich war doch irgendwie immer hier?
Wie sagte ich? Irgendwie ist mit mir immer etwas passiert, ich habe es nie betrieben. main.sign mag eine Ausnahme gewesen sein. Danach ging es mit der Regel weiter: Das Telefon klingelte. Ein Rrrring, ein »Hallo«, ein Gespräch, und nach 180 Sekunden steht man vor einem Berg von Fragen und das Leben vor gravierenden Umwälzungen. Erst einmal absagen, dachte ich. Lieber keine Experimente. Ich zu T-Mobile? Ich konnte mich nach 15 Jahren FR nicht einfach so trennen. Ich hatte doch einst gesagt: Hier bin ich, hier will ich nicht mehr weg. Das stand.
Auch ein zwischenzeitlicher Flirt mit dem Fernsehen ( Sat1) hatte mir gezeigt, dass ich ein Zeitungsmann war.
Aber die Lage bei der FR wurde immer unerträglicher. Es gab herzzerreißende Situationen, denen ich mich immer weniger gewachsen fühlte. Listen in der Hand zu halten und markieren zu sollen, wer bleiben kann, wer gehen muss. Fragen zu beantworten wie: »Wie viele Leute brauchen wir eigentlich höchstens, um eine Zeitung zu machen?« »Eine« Zeitung. Die FR war endgültig beliebig geworden. Letztlich galt es, das zu zerschlagen, was ich mit aufgebaut hatte. Und mit einigen Menschen zusammenzuarbeiten, die einfach nur schrecklich waren in ihrem Habitus, in ihren Umgangsformen und Ansichten, die so gar nichts gemein hatten mit der Seele dieser Zeitung. Mit dem, was sie ausmachte.
Rückblickend kann ich sagen, dass der Gang in die Insolvenz Ende 2012 zwar plötzlich, aber nicht gänzlich unerwartet kam.
Schließlich gab ich mich wieder der Hand hin, die mich lenkte. Es war vielleicht dann doch an der Zeit, etwas Neues zu probieren.
Diese FR -Ära, ich werde sie nie vergessen. Es war die intensivste Zeit meines Lebens, weil ich mich in ihr aufgegeben und gleichzeitig gefunden habe. Ich habe in dieser Zeit alles gewonnen und alles verloren. Ich habe gearbeitet wie ein Tier und doch zum ersten Mal richtig gelebt. Ich habe geliebt und habe gelitten. Mein Büro in der Redaktion sah aus wie ein Wohnzimmer: Blumen, Fernseher, Obstkorb, eigener Flachbildschirm, bezahlt teilweise aus eigener Tasche. Ich saß Tag und Nacht in dieser Bude. Ich habe alles als meine Aufgabe angesehen, als mein Projekt: das Reparieren von Fenstergriffen und Besorgen von Toilettenpapier ebenso wie den Relaunch einer Zeitung.
Aus. Vorbei. Abfahrt. Nächster Halt: Bonn!
Bisweilen sind es einzig platteste Plattituden, die Realität zu erklären vermögen. Und so ist es diese: Erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt. Fortan sollte ich die Radsportwelt kennenlernen und sie mich. Das hieß zunächst, raus aus einer FR in Trümmern und rein in die nagelneue, starbucksbecaterte Hightech-Zentrale eines weltweit erfolgreichen Mobilfunkers. Der Bub vom Land kommt in die große Stadt. Bonn ist kleiner als Frankfurt – aber es kommt immer drauf
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