"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)
gar nicht dahinterzukommen. Wir waren mit uns selbst genug beschäftigt und probierten vieles. Gewissensbisse gab es für mich nicht.
Zunächst war es für mich »die Rache des Verschmähten«. Das Leben in der Öffentlichkeit hatte mich offensichtlich übermütig werden lassen. Bis dahin waren mir diese männlichen Rituale fremd, dieses Testosterongehabe zuwider. Kochen, Putzen, Bügeln, Reden – das war mir stets lieber gewesen als Flirten, Grölen, Trinken, Raufen, Rocken und Poppen. Aus dem Waschlappen war plötzlich der Herrscher über ein veritables Liebesnest geworden. Auch das Selbstvertrauen war gewachsen, die Bedenken weggewischt. Ich spürte Zuneigung, ich verspürte Lust. Ich ließ es geschehen und genoss es. Und ich beschloss, keine tieferen Emotionen in diese Sache zu investieren. Bloß nicht wieder diese Gefühlsduseleien. Ich war fest entschlossen, den Spieß mal umzudrehen. Angehimmelt werden und in die Hölle schicken. Ja, so sollte es sein.
Es sollte nicht sein. Die Geschichte war eben nicht nur das, sie blieb es jedenfalls nicht. Ich lud sie mit anderen Dingen auf, bis ich sie schließlich überlud. Wieder verstrickte ich mich heillos. Alles auf Anfang: Ich habe mich demütigen lassen, gab den Ratgeber, den Versteher, den Liebestrottel. Ich habe Nina zugeschüttet mit Mails, Karten, Briefchen, Geschenken und Fürsorge. Ab und an kam sogar etwas zurück, es hatte etwas von Komplimenten, von Erwiderungen, von Hoffnung. Das immerhin hatte sich geändert. Aber im Kern war unsere Beziehung wieder so unausgewogen wie je. Längst wusste sie, dass sie mich wieder beherrschte und dass sie alleine das Ende dieser Episode bestimmen würde. Warum es also leugnen? Ich wollte mit ihr in eine Zukunft gehen, zumindest konnte ich es mir vorstellen. Aber sie blockte ab. Ich weiß noch, wie wir in meinem Auto vor dem Haus saßen, in dessen Erdgeschoss die Wohnung lag, in der sie mit ihrem Freund diese angebliche Vorzeige-Beziehung lebte. Ich ließ keinen Geringeren als George Michael antreten, um ihr selbstmitleidig vorjammern zu lassen: »I can’t make you love me«. Ich sagte ihr, dass mich dieses Lied bewegt, traurig macht. Sie sagte: »Dann hör es nicht mehr!« Seitdem haben wir uns nie mehr gesehen.
Ich schrieb einige Tage später Nina einen Brief, in dem ich ihr meine Liebe und meinen Rückzug erklärte. Denn sie schaffte etwas, was bislang noch niemand schaffte: Sie brachte mich an meine Schmerzgrenze. Oder sagen wir: Meine bis dahin bekannte Schmerzgrenze. Natürlich konnte Anna da noch einiges draufpacken.
Sportlernahrung
Der Frommert-Triathlon aus Laufen,
Radfahren und Hungern
Auch wenn es schwerfällt, das zu glauben: Für die Telekom war Jan Ullrich nicht das Schlimmste, was passieren konnte. Daraus hätte man trotz aller Widrigkeiten noch etwas machen können. Es war das berühmte »In der Krise liegen Risiken, aber auch Chancen«. Den eigentlichen GAU, den Größten Anzunehmenden Unfall, baute ein Jahr später Patrik Sinkewitz.
Es nahm uns allen den Atem, was kommen sollte. Als wir gerade einmal wieder damit beschäftigt waren, Wogen zu glätten und Außergewöhnliches versuchten zu erklären, kam dies: Sinkewitz positiv. Ein paar Tage zuvor, bei einer Abfahrt auf der achten Etappe, war schon T-Mobile-Team-Kapitän Michael Rogers verunglückt und hatte aufgeben müssen. Die Tour 2007 war eine einzige Katastrophe.
Denn Jan hin, Ullrich her: In diesem Jahr, 2007, dem Jahr danach, hätten wir beweisen können, nein: beweisen müssen, dass alle aus den Fehlern und Skandalen der Vergangenheit gelernt hatten. Dass wir es mit dem Kampf gegen Doping ernst meinten, so bitter ernst, dass es schlichtweg unmöglich war, dass ein gedopter Fahrer in unserem Trikot antritt. Das Vorhaben misslang nicht unbedeutend.
Schon im Juni musste ich eine Entlassung publizieren. Serhij Hontschar, der stämmige Zeitfahrer aus der Ukraine, 2006 noch drei Tage lang im Gelben Trikot, war ob seiner Blutwerte auffällig geworden. Raus!
Und dann mussten wir den nächsten Skandal präsentieren, den GAU eben:
Patrik Sinkewitz war positiv auf Testosteron getestet worden. Zwar schon lange vor der Tour, während eines Trainingslagers am 8. Juni. Es dauerte länger als einen Monat, bis es publik wurde, und das war es letztlich, was eine Kettenreaktion auslöste, die nicht mehr zu stoppen war.
Vor Ort versuchten wir einzuordnen, dass es doch dies ist, was alle wollen: Die Doper werden gefunden, die Tests greifen. Es hörte
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