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"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

Titel: "Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Frommert , Jens Clasen
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uns nach der Tour de France mit allen Beteiligten zusammensetzen und in aller Ruhe und mit der nötigen Seriosität beraten, wie wir weiter vorgehen.«
    Wir berieten intern und entschlossen uns, dem Vorstand den Ausstieg zu empfehlen. Es war keine Differenzierung mehr hinzubekommen zwischen Sponsoring-Engagement und Konzern, zwischen Sinkewitz und Obermann. Am 27. November 2007 stieg die Deutsche Telekom vom Rad.
    Gerädert war auch ich an diesem Abend. Auch deshalb, weil ein voreiliger Mitarbeiter die Pressemeldung, die zusätzlich im Internet veröffentlicht wurde, nicht nur mit meinem Namen versah, sondern auch gleich meine Mobilfunknummer mit angab. Welch unverhoffter Service, diese Hotline wurde gerne und ausgiebig genutzt.
    Und auch jetzt wieder: Vorwürfe, Beleidigungen, Drohungen. Vornehmlich von Radsportfans, die schon Haarausfall und Hautausschlag bekamen, wenn sie mich nur sahen, den Totengräber des Radsports. Alles kapriziert sich auf den Überbringer der Botschaft. Dabei war nicht ich es, der verbotene Substanzen eingenommen hatte. Mir konnte man höchstens vorwerfen, Substanzen in derart geringem Maß zu mir genommen zu haben, dass es verboten gehörte. Mein Gewicht befand sich noch nicht im freien Fall, aber es war gewissermaßen auf Talfahrt. Doch noch bewegte ich mich eindeutig auf der attraktiven Seite der Schlankheit. Und der ewige Hungerast sorgte dafür, dass ich mich wie aufgeputscht fühlte, Bäume ausreißen konnte. Die Glücksformel wirkte noch. Es gibt Leute, die sagen, damals sah ich besser aus als je zuvor.
    Keine Angst, das hier wird nicht schleichend zum Radsportbuch. Auch wenn weite Teile dieser Zeilen auf dem Rad entstanden sind, morgens zwischen 4.30 Uhr und 6.30 Uhr. Die Ereignisse, Drehungen und Wendungen dieser Monate zwischen Juni 2006 und Dezember 2007 würden allerdings ein eigenes Buch locker füllen. Der kleine Radausflug nach Frankreich sollte nur die wesentlichen Zusammenhänge aufzeigen, was Öffentlichkeit mit einem machen kann und was geschieht, wenn Scheinwerfer und Kameras angeschaltet sind.
    Was die immer mit ihrem Fernsehen hatten. In Deutschland bekommt etwas immer vor allem dann Tragweite, wenn das Fernsehen dabei ist – und umgekehrt droht allem ein extremer Bedeutungsverlust, wenn das Fernsehen aussteigt. Wenn jemand sagt, es geht doch bei der Tour gar nicht mehr um den Sport, sondern nur noch um das bessere Doping, dann möchte ich sagen: Nein. Es geht darum, ob das Fernsehen überträgt.
    Auch mich hat es übertragen. In Hochzeiten fast täglich. Aber am Ende war es nur noch Mühsal. Nicht einmal die Interviews machten mir am Ende noch Spaß. Und dann, einfach so, plötzlich und unerwartet: Ruhe. Mit einem Mal war alles weg, waren alle weg.
    Die Leere, eine Art Schockstarre, kam schleichend, aber sie hat mich nachhaltig erwischt. Wie in manchen Horrorfilmen ängstigte mich die Stille mehr als der vorangegangene Tumult. Im Tumult wusste ich, was ich zu tun hatte, und auch stets, wer und woran ich war. Meine Aufgaben waren klar zugeteilt und definiert, die Rollen klar verteilt. Ich wurde im Lauf der Zeit besser in dem, was ich machte, ich konnte es einfach tun, ohne groß darüber nachzudenken. Es gab einige, die sagten, ich machte einen guten Job. Und ich bekam dafür Anerkennung und Applaus, auch Kritik, ja, aber in jedem Fall Aufmerksamkeit, meine Hauptwährung.
    All das – der Tumult, das Beherrschen-Können des Chaos, die Aufmerksamkeit – war nun weg.
    Es wurde sehr still um mich. Dabei hatte ich doch noch so viel zu erzählen. Wie singt Herman van Veen: »Nie bist du besser informiert gewesen als jetzt, wo man von dir nichts wissen will.« Doping? Keiner mehr wollte etwas darüber wissen. Jedenfalls nicht von mir.
    Die Ruhe war allerdings eine logische Konsequenz. Der Ausstieg aus dem Radsport-Sponsoring lag hinter uns, ein Einstieg in größerem Stil woanders war noch nicht in Sicht – und mir auch egal. Nach der Tour 2007 plätscherte meine Tätigkeit bei der Telekom also mehr oder weniger dahin, bis auch ich beschloss, das Team Telekom zu verlassen.
    Intern herrschte Verständnis dafür, dass ich mir nach all dieser Zeit eine neue Herausforderung suchte. Worin aber könnte sie bestehen? Auf eigene Faust arbeiten? Mich selbstständig machen? Ich wagte den Sprung. Im Sommer 2008 verließ ich die Telekom-Zentrale in Bonn mit dem Plan in der Tasche, mich als Medien- und Kommunikationsberater zu versuchen. Ich war und bin mir der Risiken bewusst.

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