"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)
sich von mir Dinge anhören, die nur wirklich gute Freunde ertragen können.
Zum Beispiel, dass ich ihr in Sydney plötzlich mein Testament eröffnete und Einzelheiten festlegte für meine Beerdigung. Kein Witz, das war so. Und wir redeten drüber, als würden wir einen abendlichen Kinobesuch festzurren. Es begann damit, dass wir schnurstracks auf ein Plakat zufuhren, das von der Aufführung von Mozarts »Requiem« kündete. Schon früher mal, Lichtjahre vom Tod entfernt, dachte ich als bekennender Mozart-Liebhaber, das soll mal auf meiner Beerdigung gespielt werden. Nun war ich dem Tod näher gekommen, und vor der St. James Church hing dieses Plakat. »Hey, das soll bitte auch auf meiner Beerdigung intoniert werden«, gab ich Steffi als Hausaufgabe mit auf ihren Lebensweg. So ging das dann los mit den Planungen, bis ins letzte Detail: erst verbrennen, dann eine angemessene Trauerfeier, anschließend Party für alle Überlebenden. Nur das Buffet war mir nicht der Rede wert.
In manchen Momenten war es für mich tatsächlich leichter, an meine Beerdigung zu denken als an die Zukunft. Da war zunächst der Seelenstress mit meiner Mutter. Die Krankheit. Hinzu kam, dass die nächsten Tage und Wochen mich ängstigten. Was würde passieren? Da war außerdem eine ständige Existenzangst in Bezug auf die Selbstständigkeit, schließlich hatte ich Unmengen erspartes Geld ausgegeben. Und da war die Frage nach dem Königsweg, oder besser: dem Weg des Königinnenmörders. Wie konnte es mir gelingen, meine Anna endlich zu killen und sie doch am Leben zu erhalten? Sie schrittweise zu verjagen, aber nicht ganz, weil ich sie ja doch noch brauchte.
Wozu? Als meinen Fluchtpunkt. Weil sie auch meine Flucht vor der Angst ist. Anna quälte mich, ja. Aber sie war auch mein Lebensgerüst. Ganz im Sinne eines klassischen Korsetts: Sie quetschte mich aus – aber sie stützte mich auch. Wenn sie einfach von einem Tag auf den anderen wegfiele, würde ich zusammenbrechen, das wusste ich. Mit ihr funktionierte ich innerhalb meines eigenen kleinen Kosmos. Ich musste nicht darüber nachdenken, was ich wann und wie machen wollte. Die Tage waren immer gleich. Aus, fertig. So weit, so einfach. Und je schwerer ich an dieser Krankheitslast trug, umso leichter konnte ich doch auch damit umgehen als mit einer Veränderung. Wenn es im Sinne einer medizinischen Genesung plötzlich leichter würde, dann trüge ich schwer daran. Ein Lockerlassen könnte ja eine Gewichtszunahme bedeuten. Und so war ich hin- und hergeworfen. Immer zwischen den Extremen. Nicht einmal so etwas wie der Kirchgang, als Messdiener einst meine leichteste Übung, war für mich noch, ohne ein erhebliches Opfer zu bringen, möglich. Es fing bei der Platzwahl an. Wie komme ich aus diesen heiligen Hallen in mein Allerheiligstes, die Toilette? Nach Jahren der Abstinenz ging ich seit meiner Zeit in Prien wieder öfter in eine Sonntagmorgenmesse, die ich zuvor viele Jahre wegen des aus meiner Sicht nicht ganz astreinen Bodenpersonals boykottierte. An dieser Überzeugung änderte sich nichts. Aber in dieser Zeit ruhte ich einfach sehr in mir selbst. Zumindest 45 Minuten lang. Spätestens beim »Vater unser« begann es aber in mir zu arbeiten. Gleich geht es zur Kommunion, zum Hostien-Holen. »Wie viel Kalorien so eine Oblate wohl hat?«, fragte ich mich. »Der Leib Christi« war für mich die fleischgewordene Todsünde, weil so etwas wie der Laib Brot.
Dann aber zog ich es wiederum durchaus in Betracht, mal wieder mehr zu essen als nur Magerquark mit Obst. Manchmal dachte ich, ich bin nah dran, und dann dachte ich wieder: Nie war ich weiter weg. Im Zweifelsfall war ich dem Verzweifeln aber immer näher als dem Genießen. Ich reiste an solch wunderbare Orte wie Sydney, konnte aber deren Anblick immer nur kurz in mich aufnehmen, meistens, weil ich vor allem Wasser ausscheiden musste. Ich lief durch die Stadt mit ihren Bistros, Imbissen und Restaurants und könnte alles essen. Ich verzehrte mich danach. Aber ich ging schnurstracks nicht zum Schalter, sondern auf die Toilette. Und wenn ich etwas bestellte, dann »Diet Coke XXL , without ice …«
Kängurufleisch sowie politisch unkorrektes, in Chinatown mühsam erstandenes Krokodilfleisch habe ich probiert. Es hat mir geschmeckt, zumindest diese ca. fünf Gramm, die ich mir gönnte. Eben just for the taste of it , wie die Köchin namens Steffi sagte.
Immerhin schien die Sonne in Australien, was dem Teint gut bekam. Und manchmal wurde es
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