Dann klappts auch mit dem Glueck
versicherte Jed ihr und holte sein Smartphone heraus. Innerhalb von zwanzig Minuten hatte er einen Suchtrupp zusammengestellt. Freiwillige aus dem Youth-Power-Programm, aus der Kirche und aus dem Bergsteigerverein waren bereit, nach Leo zu suchen. „Wir treffen uns um Viertel nach acht am Youth-Power-Center“, sagte er zu Werner Obermeyer, dem Vorsitzenden des Bergsteigervereins. „Sag den anderen Freiwilligen, dass sie eine Decke und eine Thermoskanne mit etwas Heißem mitnehmen sollen. Wahrscheinlich wird er beides brauchen.“
Inzwischen hatte sich Meredith angezogen. Sie nahm ihren Mantel vom Bügel. „Ich komme mit.“
Jed hob abwehrend eine Hand. „Ich weiß, es ist hart, zu Hause zu warten. Aber ich glaube, du solltest hierbleiben.“
„Ich sitze doch nicht untätig hier herum, während mein Sohn vermisst wird!“
„Was ist, wenn er zurückkommt?“
Sie biss sich auf die Lippen und fuhr sich frustriert mit der Hand durchs Haar. „Natürlich, du hast ja recht.“ Wieder begann sie zu weinen. „Bitte finde ihn.“
„Das machen wir.“ O Gott, bitte mach, dass das stimmt, betete Jed, als er eilig das Haus verließ.
Meredith sah Jed hinterher. Er war ein guter Mann. Gestern Abend hatte sie ihn hinausgeworfen, und jetzt beteiligte er sich an der Suche nach ihrem Sohn.
Leo. Wo steckte er? Was war, wenn er in den Fluss gefallen war und die Strömung ihn mitgerissen hatte? Die war zurzeit ziemlich stark und an einigen Stellen äußerst gefährlich. Und zu dieser Jahreszeit wäre das tödlich. Er würde an Unterkühlung sterben. Was war, wenn er in eine Schlucht gefallen war? Was war, wenn …? Sie musste aufhören, sich solche Horrorszenarien auszumalen. Sonst würde sie noch verrückt werden.
Sie ging in die Küche und kochte sich einen Kaffee, bekam jedoch vor lauter Sorge keinen Schluck herunter. Sie versuchte zu beten, kam aber nicht weiter als „Oh Gott.“ Wieder schossen ihr die Tränen in die Augen. Verzweifelt versuchte sie es noch einmal mit einem Gebet: „Leo, wo bist du?“
Um Viertel vor neun klingelte ihr Handy, und vor Schreck wäre sie fast aus der Haut gefahren. Die Nummer auf dem Display verriet ihr, dass jemand aus der Arztpraxis anrief. Ein Blick auf die Uhr erinnerte sie daran, dass es ein normaler Arbeitstag war und dass sie schon längst bei der Arbeit hätte sein sollen. Wahrscheinlich rief jetzt Millie, die Büroleiterin, im Auftrag von Dr. Sharp an, um zu hören, ob alles in Ordnung war.
„O Millie, es tut mir so leid, dass ich nicht angerufen habe! Ich kann heute nicht kommen. Leo …“ Weiter kam sie nicht, sonst wäre sie wieder in Schluchzen ausgebrochen.
„Ist er krank?“, fragte Millie besorgt.
„Er ist weggelaufen. Ich weiß nicht, wo er steckt.“
„Oje, du Ärmste. Aber mach dir keine Sorgen. Wir haben hier tolle Polizisten. Ein paar von ihnen sind hier aufgewachsen; die kennen jeden Winkel, wo ein Kind sich verstecken könnte. Sie finden ihn bestimmt. Halt uns auf dem Laufenden.“
Meredith bedankte sich und beendete das Gespräch. Wie ein Mantra wiederholte sie Millies aufmunternde Worte: Sie finden ihn bestimmt. Sie mussten ihn einfach finden.
Jed hatte seine Freiwilligen in Dreierteams eingeteilt und in unterschiedliche Himmelsrichtungen losgeschickt. Sie hatten Anweisung bekommen, ihn sofort anzurufen, wenn sie den Jungen fänden. Dann würde er umgehend die Polizei verständigen. Jetzt waren er und Willie zusammen mit Boynton Clement, einem grauhaarigen Rentner aus dem Bergsteigerclub, auf dem Weg den Icicle Creek entlang zum Icicle Creek Ridge. Jed und Leo hatten vor einiger Zeit dort unten am Fluss geangelt und darüber gesprochen, dass sie einmal den Bergrücken emporwandern wollten. Es war gerade nah genug, um ein logisches Ziel für einen schmollenden Jungen darzustellen, der beweisen wollte, dass er aus hartem Holz geschnitzt war.
Wobei man bei einem Dreizehnjährigen nicht unbedingt erwarten konnte, dass er logisch dachte. Jed jedenfalls hatte es in dem Alter nicht getan. Er erinnerte sich an all die idiotischen Dinge, die er damals angestellt hatte, und fragte sich nicht zum ersten Mal, wie er das überlebt hatte. Mit vierzehn war er auch mal von zu Hause abgehauen, war hinter das Steuer des Lasters seines alten Herrn geklettert und losgefahren. Dummerweise hatte er das Grundstück kaum verlassen, als er auch schon im Graben gelandet war. Sein alter Herr war ziemlich sauer gewesen. So richtig ausgerastet war er dann aber, als Jed
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