Dann mach ich eben Schluss
ihr zu und belegt sich ein Brot üppig mit Putenbrust, einem Salatblatt und Frischkäse, klappt es zusammen und wickelt es in Alufolie ein. Und ohne ihre Stimme zu dämpfen, fügt sie hinzu: »Wenn es Papa nicht passt, dass Max sein eigenes Leben hat, und er nur eine jüngere Ausgabe von sich selbst akzeptiert, muss er sich klonen lassen.«
Auch an diesem Morgen holen wir Annika mit dem Auto ab. Als ich sie küssen will, hält sie mir nur ihre Wange hin und blickt während der ganzen Fahrt aus dem Fenster, bei heruntergekurbelter Scheibe, der Wind verweht ihre langen Haare, andere Jungs würden durchdrehen bei dem Anblick. Ich denke an Delia. Die Todesanzeigen an der Pinnwand. Ihren Kuss. Annika hat nicht gefragt, warum meine Hände verbunden sind.
»Tut mir leid wegen gestern«, versuche ich, irgendwie ein versöhnliches Gespräch zu beginnen. »Nach dem vielen Lernen brauchte ich frische Luft und habe beim Spazierengehen die Zeit vergessen. Hast du heute Nachmittag Zeit? Ich lade dich ein, wohin du willst.«
»Weià ich noch nicht«, antwortet Annika knapp, ohne ihren Kopf zu mir zu wenden. Vor der Schule steigt sie aus und eilt fort, ohne das Fenster auf der Beifahrerseite wieder hoch zu kurbeln, damit macht sie mich wahnsinnig und das weià sie genau. Ich parke ein, löse meinen Anschnallgurt und kurbele umständlich das Fenster hoch.
»Zicke«, zischt Natalie. »Was hält dich eigentlich noch bei ihr, die nutzt dich nur aus.«
»Ich kann aber nicht so einfach Schluss machen. Ich will ihr nicht wehtun«, erwidere ich, obwohl ich selbst merke, wie absurd das klingt, mit meinen noch so frischen, neuen, mich aufwühlenden Gefühlen für Delia.
»Wo warst du gestern eigentlich?« Nati legt ihre Unterarme von hinten auf beide Rückenlehnen und blickt mich grinsend an.
»Ich muss los«, weiche ich aus. »Es klingelt gleich. Aber ich erzähle es dir bald, versprochen.«
In der ersten Doppelstunde haben wir Mathe. Herr Brückner verschont mich mit Fragen, nimmt mich nur zwei Mal dran, als ich die Antworten sogar weiÃ. An die Tafel muss ich nicht. Beim Klingeln zur groÃen Pause verständigen wir uns mit einem Blick, und so bald ich kann, entferne ich mich von Paul, um vor dem Lehrerzimmer auf ihn zu warten. Mein Herz hämmert, ich weià nicht, ob ich das Richtige tue, vielleicht will er mich gar nicht sprechen, vielleicht stehe ich umsonst hier herum, während Trauben von Schülern an mir vorbei die Treppen hinunter zum Schulhof gehen. Gerade als ich mich verziehen will, öffnet sich die Tür von innen und unsere Deutschlehrerin Frau Melberg erscheint mit einem Beamer unter dem Arm.
»Maximilian«, begrüÃt sie mich. Ich mag sie ganz gern, sie gibt sich viel Mühe mit uns, lebt aber ein bisschen an unseren Bedürfnissen vorbei, handelt immer nach ihrer Gesinnung, ein bisschen wie meine Mutter, zu fürsorglich, zu bemüht, übersieht dabei gern, was wirklich in uns vorgeht und was wir brauchen. »Wollten Sie zu mir? Ich habe gerade wenig Zeit, muss das Gerät schnell noch vor dem Unterricht in der neunten Klasse anschlieÃen. Wenn Sie mir dabei helfen, können wir währenddessen Ihr Anliegen besprechen. Geht es um Ihre Präsentation?«
Die Präsentation. Heute soll ich sie halten, aber gestern Nacht habe ich nicht mehr daran gearbeitet, habe es glatt vergessen durch die Wirbelstürme, die zurzeit in mit toben. Ich könnte mich ohrfeigen, habe doch stundenlang wach gelegen, mindestens bis zwei Uhr früh â in der Zeit hätte ich die Arbeit locker schaffen können. Aber ich habe es völlig vergessen, nicht die kleinste Gehirnzelle hat sich noch daran erinnert. Null Punkte, hämmert es in mir. Eine Sechs. Die Kurve sinkt weiter.
»Die habe ich noch nicht fertig«, gestehe ich unter Herzrasen. »Können wir den Termin nicht verschieben?«
Frau Melberg denkt nach. »Ich kann Simon fragen«, schlägt sie vor. »Er meinte neulich schon, er wäre mit seiner Präsentation fast fertig. Vielleicht haben wir Glück. Aber übermorgen ist dann der letzte Termin, Maximilian. Alles andere wäre ungerecht Ihren Mitschülern gegenüber.«
»Danke«, keuche ich. »Jetzt wollte ich eigentlich noch zu Herrn Brückner. Aber danach kann ich kommen und Ihnen mit dem Beamer helfen, wenn die Pause dann noch nicht zu Ende
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