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Dann mach ich eben Schluss

Dann mach ich eben Schluss

Titel: Dann mach ich eben Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Fehér
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kannte. Danach habe ich mit einem entfernten Cousin gespielt und nicht mehr darüber nachgedacht, was gerade passiert war. Erst in letzter Zeit kommen immer wieder diese Gedanken an den Tod in mir hoch. Gedanken an Ruhe. Mich ausklinken. Die Welt sich ohne mich weiterdrehen lassen.
    Â»Ich hab’ noch mehr davon«, gesteht Delia nach einer Weile. Sie zieht die Schiebetür eines metallenen Büroschranks auf, nimmt einen dicken Aktenordner heraus und öffnet ihn. In Klarsichthüllen liegen weitere Traueranzeigen vor mir, ordentlich hineingeschoben, auf der Rückseite die dazu gehörigen Bilder des Grabschmucks, opulente Kränze aus den teuersten Edelrosen, aber auch zarte Sträuße, die nicht mehr als ein paar Euro gekostet haben können; Maiglöckchen, Freesien, einzelne Gerbera mit Gräsern arrangiert und gebunden, wirkungsvoll gerade in ihrer Bescheidenheit. Wir setzen uns wieder hin und ich blättere den Ordner durch, betrachte ein Bild nach dem anderen, lese die Traueranzeigen dazu, ein beklemmendes Gefühl beschleicht mich, ich atme nur noch flach, wage nicht, Delia anzusehen. So etwas sammelt sie also. Sie weiß nicht, wie nahe sie mir ist. Beim Umblättern spüre ich noch das Brennen meiner Wunden, die Hände fühlen sich starr an unter den fest gewickelten Verbänden.
    Â»Hast du die alle gemacht?«, frage ich. Delia nickt.
    Â»Den Blumenschmuck und die Fotos«, erläutert sie. »Wir sind ja hier die nächstgelegene Gärtnerei für den Friedhof, da bekommen wir ständig solche Aufträge. Aber das mit den Fotos ist eine Macke von mir, ich kann nicht anders. Zu jedem Kranz, Strauß oder Gesteck, das ich für eine Beisetzung binde, muss ich die Anzeigen aufheben, und wenn mich ein Todesfall besonders tief berührt, schreibe ich es in mein Tagebuch. Aber das habe ich zu Hause.«
    Â»So intensiv beschäftigst du dich damit?«
    Delia nickt. »Ziemlich plemplem, oder? Sieh mal, alles ist chronologisch geordnet, die unterste Hülle ist von vor knapp einem Jahr, als ich hier angefangen habe zu arbeiten. Die oberste stammt von letzter Woche … Dienstag, ja. Am Dienstag war das. Ein verunglückter Motorradfahrer, auf nassem Laub ausgerutscht und in den Gegenverkehr gekracht. Knapp sechsundzwanzig Jahre alt, drei Tage vor seinem Geburtstag. Seine Freundin konnte kaum sprechen, als sie ihre Blumen hier bestellt hat, so sehr hat sie geweint. Und seine Mutter habe ich auch gesehen.«
    Â»Krass«, bringe ich hervor, meine Stimme klingt belegt, ich muss mich räuspern. Rote Rosen, ein Gesteck aus samtigen dunkelroten Rosen. Verlust der Liebe. Vielleicht nie wieder ein sonniger Tag. Ich blättere weiter, sehe Vergissmeinnicht auf Urnengräbern, Sonnenblumen auf einem Kindergrab, und zu jedem Bild, jeder Anzeige weiß Delia noch die Geschichte, erzählt davon wie über alte Freunde, Menschen, die sie lieb gewonnen hat.
    Â»Oder hier, das war für einen Surfer, fast gehörlos war er, und hat einen Katamaran zu spät wahrgenommen. Seine Familie wollte eine Seebestattung, weil das Wasser ihm alles bedeutet hatte. Wir haben Streublumen in kleinen Körben arrangiert wie für eine Hochzeit. – Du bist also nicht der Einzige, der merkwürdige Sachen macht, das siehst du ja jetzt«, meint sie nach dem letzten Bild, der letzten Traueranzeige, und klappt den Ordner zu.
    Â»Aber warum machst du das alles?«, frage ich. Ich schäme mich angesichts der vielen Todesfälle, fein säuberlich in einem Ordner dokumentiert, meinen Tod herbeigesehnt zu haben. »Du wirkst auf mich eher wie jemand, der mit dem Tod nichts zu tun haben will.«
    Â»Will ich auch nicht.« Delia steht auf und schiebt den Ordner wieder zwischen die anderen in den Schrank. »Dazu war ich schon viel zu dicht dran. Ich habe ihm in die Augen geschaut und beschlossen, noch ein bisschen zu bleiben. Hier zu bleiben. Tja, und dann … habe ich gekämpft.«
    Â»Du wärst schon mal fast gestorben?«
    Sie nimmt ihre Tasse wieder auf und trinkt sie in einem Zug leer.
    Â»Ich hatte eine schwere Blutvergiftung, einen septischen Schock«, antwortet sie nach einigem Zögern. »Da war ich achtzehn, wie du heute. In jenem Sommer bin ich mit meinem damaligen Freund nach Marokko, eine total verrückte Nacht-und-Nebelaktion aus Protest gegen meine Mutter, von der ich mich immer bevormundet gefühlt habe, egal was ich tat, das

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