Dann mach ich eben Schluss
»Mein Freund.« In diesem Moment bin ich der glücklichste Mensch. Der Chef zwinkert mir zu und verschwindet.
Am selben Abend schlafen wir zum ersten Mal miteinander. Ein prasselnder Hagel wütet über der Stadt, wir haben es gerade noch geschafft, die Pflanzen vorher in Sicherheit zu bringen. Unsere Hände sind rot und wie steif gefroren, ich nehme ihre in meine und hauche sie warm, fahre mit meinen Lippen über ihren Handrücken, wandere weiter aufwärts über ihre Schulter und ihren Hals, bis unsere Münder sich finden und lange, lange nicht voneinander lassen.
»Ich weiÃ, was wir jetzt machen«, sagt sie, strebt auf die verglaste Eingangstür zu und lässt die Rollläden herunter, bis dahin habe ich nicht einmal wahrgenommen, dass sie existieren. AnschlieÃend kocht sie wieder Tee, und als wir uns richtig aufgewärmt haben, zieht sie die Wolldecke vom Sofa des Hinterzimmers ab und trägt sie in den Verkaufsraum, breitet sie aus und rollt unsere Jacken zu Kopfkissen zusammen. Trägt Vasen mit Rosen und Töpfe mit Margeriten heran und stellt sie rings herum auf, sammelt Kerzen und Teelichter aus Schubläden und Schränken ein, die sie ebenfalls um die Decke herum verteilt. Ich wage kaum zu atmen, kann ihr nicht einmal helfen bei all den Vorbereitungen. Als Delia fertig ist, legt sie ihre Arme um mich.
»Aber nur, wenn du es auch willst«, flüstert sie.
Ich packe sie aus wie ein Geschenk, lege sorgsam und Stück für Stück ihre Kleider ab und dann meine. Jede Berührung von Delia fühlt sich an, als stünde ich unter einem Heer von Wunderkerzen. Sie ist verrückt, denke ich immer wieder, dieses Mädchen ist so herrlich verrückt, so etwas kann es nicht geben, es ist geradezu unerträglich schön.
Jetzt liegen wir immer noch aneinander geschmiegt unter der Wolldecke. Delia lässt ihre Finger durch mein Haar gleiten, immer wieder, streicht mir den Pony aus der Stirn und zerwuschelt ihn wie bei einem kleinen Jungen, fährt mit dem Daumen meine Schläfen entlang. Ich fühle mich so zu Hause bei ihr, so angenommen. So am Ziel. Ich suche nicht mehr, in diesem Augenblick, da wir Wange an Wange die Hagelkörner beobachten, die noch immer gegen die kleine Fensterscheibe prasseln, gibt es nur uns beide, sie und mich. Die Welt lassen wir einfach drauÃen.
»Meinst du das ernst?«, frage ich sie. »Dass ich dein Freund bin? Sind wir jetzt richtig zusammen?«
»Ich bin keine Frau, die mit jedem ins Bett geht.« Delia stützt sich auf ihren Ellbogen und sieht mich an, ohne zu lächeln. »Solche halben Sachen gibt es bei mir nicht, es ist zu intim, um mich an jeden x-Beliebigen zu verschleudern. AuÃerdem stehen die wenigsten Jungs auf Mädchen wie mich. Langhaarig müssen sie sein, figurbetont angezogen, und ein winziges bisschen zickig. Ich bin den meisten zu burschikos.«
»Mir nicht«, beteuere ich und küsse ihre Lippen, ihre Augenlider. »Bleib so, bleib auf jeden Fall ganz genau so, wie du bist.«
»Und du?«, fragt Delia und pikst ihren Zeigefinger in meine Seite. »Gibt es kein Mädchen in deiner Schule, das deine Nähe sucht? Keine Grüppchen von Girlies, die kichernd vor dem Unterrichtsraum stehen, wenn du in die Pause gehst?«
HeiÃes Blut schieÃt mir bis unter die Haarwurzeln, ich bin froh, dass es so dunkel im Raum ist.
»Diese Rolle fällt eher Paul zu, meinem Kumpel«, antworte ich. »Ja, da ist ⦠war ein Mädchen. Aber wir sind eigentlich nicht mehr zusammen.«
Delia setzt sich auf. »Eigentlich«, wiederholt sie. »Das heiÃt, du hast noch gar nicht mit ihr Schluss gemacht?«
»Das muss ich nicht«, verteidige ich mich. »Annika weià genauso gut wie ich, dass es vorbei ist. Wir gehören nur noch zur selben Clique.«
Delia hört dennoch auf, mich zu streicheln.
»Aber du«, beginne ich von Neuem, um von Annika und mir abzulenken, zu uns zurückzufinden. »Was findest du an mir? Wieso gerade ich?«
Sie zögert mit ihrer Antwort.
»Ich glaube, etwas an dir erinnert mich an mich selbst«, äuÃert sie schlieÃlich. »Beide kämpfen wir um unser Leben, ich bin darin nur ein bisschen weiter als du, weil ich die Krankheit hinter mir habe. Aber dieser Hunger nach Leben, einem selbstbestimmten Leben, keinen Vorschriften mehr ausgesetzt â dieser Hunger steckt auch in dir. Das liebe ich so
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