Dann mach ich eben Schluss
an dir, dieses Feuer, den unbedingten Willen, deinen Weg zu gehen. Ich habe die Krankheit gebraucht, um herauszufinden, was ich wirklich will â du musst dich gegen andere Schwierigkeiten durchsetzen. Aber im Grunde ist es das Gleiche, und deshalb fühle ich mich mit dir verbunden.«
»Bin ich dir nicht zu jung?«
»Ich bin einundzwanzig und du achtzehn, wenn mich nicht alles täuscht. Das ist doch so was von egal. Viel wichtiger ist, dass wir uns nahe sind. Und dass wir uns aufeinander verlassen können. Du musst die Trennung von Annika aussprechen, Max. Eine klare Linie ziehen. Ich will nicht mit einem Typen zusammen sein, für den ich nicht die Einzige bin.«
»Mach ich«, verspreche ich ihr. »Es ist nur noch ein Wort, aber wenn es dir so wichtig ist, mache ich das, klar.«
Mein Blick fällt auf das Fenster in den nachtdunklen Himmel, der Wind jault durch einen schmalen Spalt. Sie hat gesagt, sie liebt etwas an mir. Das heiÃt beinahe, Delia liebt mich. Ich müsste auf diesem Sofa herumspringen und jubeln, mein Glück in die Welt hinaus schreien, weil es so unglaublich ist. Aber ich kann nicht, gerade jetzt fühle ich mich, als ob sich eine Glasglocke um mich schlieÃt, um meine Gefühle. Ich muss mit Annika Schluss machen, vorher verdiene ich Delia nicht. Eigentlich wäre es der leichteste Schritt auf dem, was sie meinen Weg nennt.
»Was hast du?«, fragt Delia und nimmt meine Hand. »Ist irgendwas?«
»Hast du dir damals ⦠oder jemals ⦠wie soll ich sagen ⦠deine eigene Beerdigung vorgestellt?«
Delia lacht leise. »Oft genug«, sagt sie. »Damals, als ich so schwer krank war. Die Anzeigen und Fotos und die Arbeiten für Begräbnisse sind meine Art, das alles zu verarbeiten. Wie kommst du jetzt darauf?«
»Hat dir die Vorstellung gefallen?«
»Sie hat mich in panische Angst versetzt«, antwortet sie. »Ich hänge zu sehr am Leben, um sterben zu wollen. Die frische Luft drauÃen, die Blumen, Menschen und Tiere, dieses Aprilwetter jetzt. Freundschaften und die Liebe. Irgendwann auch wieder reisen. Das soll nicht schon vorbei sein.«
»Ich habe mir den Tod schon oft schön vorgestellt. Dunkel und friedlich, wie ein warmes Bad bei Kerzenlicht. Wie fester, tiefer Schlaf unter einer groÃen, weichen Daunendecke, und dabei beglückende Träume zu haben. Ruhe, vor allem Ruhe.«
»Ich verstehe dich«, sagt sie leise. »Du stehst so unter Druck. Versuche daran zu denken, dass es nur eine Phase ist, es geht vorbei. Ganz, ganz sicher kommen bessere Zeiten, du wirst sehen.«
»Es könnte so schön sein«, flüstere ich und starre weiter hinaus, sehe dem Hagel zu, der noch immer gegen die Scheibe trommelt. Wende mein Gesicht wieder ihr zu. »Stell dir vor, wir wären für immer zusammen, du und ich.« In wenigen Sätzen vertraue ich ihr an, was ich mir vorhin bei der gemeinsamen Arbeit ausgemalt habe. »Das wäre so traumhaft.«
»An mir soll es nicht liegen.« Delia küsst mich auf die Nase. »Meinen Teil trage ich schon dazu bei. Jetzt bist du dran. Oder zweifelst du etwa?«
Ich zögere mit meiner Antwort. Natürlich zweifle ich. Jetzt, in diesem Augenblick, erscheint es mir, als könnte ich alles schaffen, was ich mir in den Kopf gesetzt habe. Als wäre ich stark und unabhängig, schon jetzt, als gäbe es wirklich nur Delia und mich auf der Welt. Wie sie in meine Augen eintaucht, ein wenig prüfend, liebevoll, abwartend, die Pupillen glänzend und geweitet, ich entdecke helle Sprenkel in dem intensiven Grün ihrer Iris. Ihr voller Mund, der immer zu lächeln scheint. Ein Schneidezahn schimmert glitzernd zwischen ihren Lippen hindurch.
»Kannst du sie nicht einfach wegküssen?«, frage ich rau, muss schlucken, mich räuspern, ziehe die Wolldecke höher über unsere Schultern. Habe zu frieren begonnen, ich muss bald gehen. »Die Zweifel, meine ich?«
Delia drückt mir einen Schmatzer auf die Wange.
»Das hilft so lange wie ein Bonbon dem kleinen Jungen hilft, wenn er sich das Knie aufgeschlagen hat«, lacht sie. »Und jetzt stehen wir auf. Du hast noch viel vor, oder nicht?«
Sie ahnt nicht, wie recht sie hat. Zu Hause wartet Natalie in meinem Zimmer auf mich, ihr Laptop auf dem SchoÃ, sie surft im Internet, chattet. Der Drucker rattert schon wieder, spuckt einen Bogen nach dem anderen aus, sicher ein
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