Danse Macabre
seinen Schlangenlederschuhen darauf herumtrampelte, sah neben John Lennon zahm aus, der verkündete, die Beatles wären populärer als Jesus Christus - ein
Statement, das zu Plattenverbrennungen durch Fundamentalisten führte. Der Brylcreem-Look wich den bereits erwähnten langen Locken. Eltern fingen an, seltsame Krauter in den
Schubladen ihrer Söhne und Töchter zu finden. Die Themen
der Rockmusik wurden zunehmend beunruhigender: Mr.
Tambourine Man schien von Drogen zu handeln; bei Eight
Miles High von den Byrds konnte diesbezüglich kein Zweifel
mehr bestehen. Rundfunksender spielten weiter die Schallplatten einer Gruppe, nachdem zwei männliche Bandmitglieder öffentlich verkündet hatten, daß sie einander liebten.
Elton John tat seine bisexuellen Neigungen kund und war
dennoch erfolgreich; aber weniger als zwanzig Jahre vorher
war der wilde Jerry Lee Lewis aus dem Rundfunk verbannt
worden, weil er seine vierzehn Jahre alte Cousine geheiratet
hatte.
Dann gab es den Krieg in Vietnam. Die Herren Johnson
und Nixon breiteten ihn dort drüben in Asien aus wie ein großes ranziges und verdorbenes Picknick. Viele der Jungen beschlossen, nicht dorthin zu gehen. »Ich habe keinen Hader
mit den Congs«, verkündete Muhammed AK und bekam seinen Boxertitel aberkannt, weil er sich weigerte, die Handschuhe auszuziehen und ein M-l in die Hand zu nehmen.
Junge Leute fingen an, ihre Wehrpässe zu verbrennen, setzten sich nach Kanada oder Schweden ab und marschierten
mitVietcongflaggen. In Bangor, wo ich das College besuchte,
wurde ein junger Mann festgenommen und eingesperrt, weil
er den Hosenboden seiner Jeans duch eine amerikanische
Flagge ersetzt hatte. Bißchen Spaß gemacht, Junge, was.
Es war mehr als ein Generationenkonflikt. Die beiden Generationen schienen sich, wie der San-Andreas-Graben, auf
zwei einander entgegengesetzten Erdschichten von sozialem
und kulturellem Gewissen, von Überzeugungen und Definitionen zivilisierten Verhaltens selbst zu bewegen. Das Resultat war weniger ein Erdbeben als vielmehr ein Zeitbeben.
Und in diesem Jung-gegen-Alt-Wahnsinn erschien Friedkins The Exorcist und wurde an sich ein soziales Phänomen. In
jeder größeren Stadt, wo er im Kino lief, bildeten sich Schlangen um ganze Häuserblocks, und sogar in Städten, wo normalerweise pünktlich um neunzehn Uhr dreißig die Bordsteine
hochgerollt werden, wurden Mitternachtsvorstellungen angesetzt. Kirchengruppen liefen Sturm; Soziologen mit Pfeifen kommentierten; Nachrichtensendungen brachten an ereignislosen Abenden Ausschnitte. Das ganze Land geriet
buchstäblich zwei Monate lang in den Besessenheitstaumel.
Der Film (und der Roman) handelt vordergründig vom Bemühen zweier Priester, einen Dämon aus der jungen Regan
MacNeil auszutreiben, einem hübschen kleinen Teenager,
der von Linda Blair gespielt wurde (die später in dem unrühmlichen NBC-Film Born Innocent einen High-Noon-mäßigen Showdown mit einem Schurken erlebte). Substantiell
ist es jedoch ein Film über explosive gesellschaftliche Veränderungen, ein scharf geschliffener Brennpunkt für die gesamte Jugendexplosion, die in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren stattfand. Es war ein Film für alle Eltern, die voll Schmerz und Schrecken feststellten, daß sie ihre
Kinder verloren, ohne zu begreifen, wie oder warum es geschah. Es ist wieder das Gesicht des Werwolfs, eine Jekyllund-Hyde-Geschichte, in der die süße, liebenswerte und lie bende Regan sich in ein übel sprechendes Monster verwandelt, das ans Bett gefesselt wird und (mit der Stimme von
Mercedes McCambridge) so nette Predigten von sich gibt
wie: »Du wirst dich von Jesus ficken lassen, ficken lassen, fikken lassen.« Läßt man die religiöse Bedeutung einmal außer
acht, so begriff jeder Erwachsene in Amerika, was der übermächtige Subtext des Films sagte; sie begriffen, daß der
Dämon in Regan enthusiastisch auf den Fish Cheer inWoodstock reagiert hätte.
Ein leitender Angestellter von Warner Brothers hat mir
kürzlich gesagt, Umfragen zeigten, daß der durchschnittliche
Kinogänger fünfzehn Jahre alt ist, was der Hauptgrund dafür
sein mag, daß Filme so häufig an einem unheilbaren Fall fehlender Entwicklung leiden. Für jeden Film wie Julia oder The
Turning Point (dt: Am Wendepunkt) gibt es ein Dutzend wie Roller Boogie oder If You Don’t Stop It, You’ll Go Blind (dt: Wenn du nicht damit aufhörst, wirst du blind). Man sollte jedoch bemerken, daß die gelegentlichen Kassenschlager, auf
die
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