Danse Macabre
man muß lediglich sein Essen kauen und dann dem Klassenkameraden
den offenen Mund vors Gesicht hängen -, aber was ist mit
den Werken von Goya? Oder Andy Warhols Brillo-Kartons
und Suppendosen, was das anbelangt?
Sogar der schlechteste Horror-Film gewinnt auf dieser
Ebene manchmal einen Augenblick des Erfolges. Eines Tages vor nicht allzu langer Zeit schwelgte Dennis Etchison am
Telefon mit mir in fröhlichen Erinnerungen an eine Szene aus The Giant Spider Invasion (dt: Angriff der Riesenspinne), als
eine Dame ihren morgendlichen Vitamintrunk leert, aber
nicht weiß, daß eine fette Spinne in den Mixer gefallen ist,
bevor sie ihn eingeschaltet hat. Jam, jam. In dem Film Squirm (dt: Invasion der Bestien), den man im höchsten
Grade vergessen kann, gibt es einen Augenblick, den man
auch vergessen kann (für alle zweihundert Leute, die den
Film gesehen haben), als eine Frau, die duscht, nach oben
schaut, warum kein Wasser mehr kommt, und feststellt, daß
ihre Dusche von herabbaumelndenWürmern verstopft ist. In
Dario Argentos Suspiria regnen Maden auf eine Gruppe
Schulmädchen herab …, während sie sich gerade fertig machen, um ins Bett zu gehen. Das alles hat nichts mit der Handlung des Filmes zu tun, ist aber auf eine abstoßende Weise von
vagem Interesse. In Maniac, unter der Regie des ehemaligen
Soft-Porno-Machers William Lustig entstanden, haben wir
den unglaublichen Augenblick, als der mörderische Killer
(Joe Spinell) eines seiner Opfer sorgfältig skalpiert; die Kamera lechzt nicht einmal danach - sie betrachtet es lediglich
mit einem toten, berechnenden Auge, die die Szene fast unmöglich anzusehen macht.
Wie oben erwähnt, funktionieren gute Horror-Filme häufig auf dieser »Möchtest-du-mein-gekautes-Essen-sehen«Ebene - einer primitiven, kindischen Ebene. Ich würde das
den BÄH-Faktor nennen …, manchmal auch als der »Omein-Gott-war-das-eklig«-Faktor bekannt. Es ist der Punkt,
an dem sich die Geister der meisten guten liberalen Filmkritiker und der meisten guten reaktionären Filmkritiker scheiden, was das Thema Horror-Film anbelangt (man vergleiche
dazu etwa die Unterschiede zwischen Lynn Mintons Besprechung von Dawn of the Dead in McCall’s sie ist nach etwa
zwei Rollen oder so hinausgegangen - und dem Leitartikel im
Kulturteil des Boston Phoenix über denselben Film). Wie der
Punk Rock, findet auch der Horror-Film mit guten Niederknüppel-Effekten seine Kunst in kindlichen, anarchistischen
Auswüchsen - der Augenblick in The Omen, als der Fotograf
von einer Glasscheibe geköpft wird, ist Kunst der spektakulärsten Art, und man kann es Kritikern nicht verübeln, die
leichter auf Jane Fonda als völlig unglaubwürdige Leinwandinkarnation von Lillian Hellman in Julia reagieren als
auf solche Sachen.
Aber das »Niederknüppeln« ist Kunst, und es ist wichtig,
daß wir das verstehen. Blut kann überall fließen, und das Publikum wird weitgehend unbeeindruckt bleiben. Wenn aber
das Publikum die Personen mag und versteht - oder auch nur
anerkennt -, sie als wirkliche Personen betrachtet, wenn eine
künstlerische Beziehung aufgebaut wurde, dann kann Blut
überall hinspritzen, und das Publikum kann nicht unbeeindruckt bleiben. Ich kann mich zum Beispiel an niemanden
erinnern, der aus Arthur Penns Bonnie and Clyde oder
Peckinpahs The Wild Bunch (dt: Wild Bunch - Sie kannten
kein Gesetz) hinausgegangen ist, der nicht aussah, als hätte
man ihm (oder ihr) mit einem großen Brett eins über den
Schädel gezogen. Doch es gehen Besucher gähnend aus anderen Peckinpah-Filmen hinaus Bring Me the Head of Alfredo
Garcia (dt: Bringt mir den Kopf von Alfredo Garcia) oder Cross of Iron (dt: Das eiserne Kreuz) zum Beispiel. Die lebenswichtige Verbindung wird einfach nie hergestellt.
Das ist alles schön und gut, und es kann kein Zweifel an Bonnie and Clyde als Kunst bestehen, aber kehren wir noch
einmal einen Moment zu der pürierten Spinne in The Giant
Spider Invasion zurück. Das qualifiziert sich überhaupt nicht
als Kunst im Sinne der Herstellung einer Verbindung zwischen Zuschauer und agierender Person. Glauben Sie mir,
die Frau, die die Spinne trinkt, ist uns ziemlich egal (und allen
anderen in diesem Film auch, was das anbelangt), aber dennoch existiert dieser Augenblick der frisson, der Augenblick,
wenn es den tastenden Fingern des Filmemachers gelingt,
eine Lücke in unserer Verteidigung zu finden, hindurchzuschießen und auf einen der psychischen Druckpunkte zu
drücken. Wir identifizieren uns mit der
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