Danse Macabre
konventionelle Schablone des Spukhauses; wir werden Zeuge einer
Reihe von Spukerscheinungen, die zusammengenommen
das Konzept des Hauses als Ort des Bösen bestätigen. Man
könnte sogar sagen, die zutreffendste Definition des Spukhauses wäre »ein Haus mit unrühmlicher Vergangenheit«.
Der Autor muß mehr tun, als nur eine einfallslose Parade von
Gespenstern präsentieren, die mit Ketten rasseln und mitten
in der Nacht Türen aufreißen und zuschlagen oder seltsame
Geräusche auf dem Dachboden oder Keller machen (der
Dachboden ist ein besonders guter Ort für ein wenig unterschwelliges, pulsierendes Entsetzen - wann haben Sie Ihren
zum letzten Mal besucht, während eines Stromausfalls und
mit einer Kerze in der Hand, während draußen ein heftiger
Herbstwind wehte?); die Geschichte vom Spukhaus erfordert einen historischen Kontext.
Sowohl The House Next Door von Anne Rivers Siddons
(1978) und The Haunting of Hill House von Shirley Jackson
(1969) liefern diesen historischen Kontext. Jackson etabliert
ihn sofort, im ersten Abschnitt ihres Romans, wo sie ihre Geschichte mit einer herrlichen, traumähnlichen Prosa beginnt:
Kein lebender Organismus kann unter dem Zustand absoluter Realität lange bei geistiger Gesundheit existieren;
einige vermuten sogar, daß Lerchen und Heuschrecken
träumen. Hill House, nicht bei geistiger Gesundheit, stand
für sich alleine auf einem Hügel und hielt Dunkelheit in
sich; so stand es seit achtzig Jahren und mochte weitere
achtzig stehen. Drinnen blieben die Wände aufrecht, fügten die Backsteine sich fein säuberlich zusammen, waren
die Böden fest und die Türen vernünftigerweise verschlossen; Stille lag ungestört über dem Holz und Stein von Hill
House, und was immer dort wandelte, wandelte allein.
Ich finde, es gibt wenige beschreibende Absätze in der englischsprachigen Literatur, die besser sind als das, wenn überhaupt; es ist die Art stiller Epiphanie, auf die jeder Schriftsteller hofft: Worte, die irgendwie Worte transzendieren, Worte,
die ein größeres Ganzes bilden als die Summe derTeile. Eine
Analyse eines solchen Absatzes ist ein übler und fieser Trick
und sollte fast immer College- und Universitätsprofessoren
überlassen bleiben, jenen Schmetterlingsjägern der Literatur, die, wenn sie einen schönen Schmetterling sehen, der
Meinung sind, sie sollten sofort mit einem Netz auf die Wiese
laufen, ihn fangen, mit einem Tropfen Chloroform töten, ihn
auf eine weiße Unterlage montieren und unter Glas ausstellen, wo er immer schön sein wird … und so tot wie Pferdescheiße.
Nachdem ich das gesagt habe, wollen wir den Absatz ein
wenig analysieren. Ich verspreche jedoch, ihn nicht zu töten
und aufzuspießen; dazu habe ich weder die Fähigkeiten noch
die Absicht (aber zeigen Sie mir irgendeine Abschlußarbeit auf
dem Gebiet der englischen und amerikanischen Literatur, und
ich werde Ihnen eine Sammlung toter Schmetterlinge zeigen,
von denen die meisten unsachgemäß getötet und laienhaft aufgespießt worden sind) .Wir wollen ihn nur einen oder zwei Augenblicke lang betäuben und dann weiterfliegen lassen.
Ich möchte eigentlich nur darauf hinweisen, wie viel dieser
einzelne Abschnitt erreicht. Er fängt damit an, daß er andeutet, Hill House sei ein lebender Organismus; sagt uns, daß
dieser lebende Organismus nicht im Zustand absoluter Realität existiert; daß es (wenngleich ich gestehen muß, daß ich
hier eine Schlußfolgerung ziehe, die Ms. Jackson nicht beabsichtigt hatte) nicht bei geistiger Gesundheit ist, weil es nicht
träumt. Der Abschnitt erzählt uns, wie lang seine Geschichte
gewesen ist und stellt damit sofort den historischen Kontext
her, der für die Spukhaus-Geschichte so wichtig ist, und er
sagt uns, daß etwas in den Zimmern und Fluren von Hill
House wandelt. Und das alles mit zwei Sätzen.
Durch Andeutung bringt Jackson zwei noch beunruhigendere Dinge ins Spiel. Sie deutet an, daß Hill House äußerlich
normal aussieht. Es ist nicht das unheimliche alte MarstenHaus aus ‘Salem’s Lormit seinen zugenagelten Fenstern, dem
windschiefen Dach und den abblätternden Wänden. Es ist
kein halbverfallenes düsteres Gemäuer am Ende all jener
Einbahnstraßen, wo Kinder bei Tage Steine hinwerfen und
das sie bei Nacht fürchten. Hill House sieht ziemlich gut aus.
Aber Norman Bates sah auch ziemlich gut aus, wenigstens an
der Oberfläche. Hill House ist an der Oberfläche nichts anzumerken, aber es existiert (wie diejenigen, die närrisch genug
sind,
Weitere Kostenlose Bücher