Danse Macabre
Bösen nennen, ein Ausdruck, der wesentlich mehr
einschließt als das verfallene Haus am Ende der Maple Street
mit dem unkrautüberwucherten Rasen, den eingeschlagenen
Scheiben und dem verwitterten zu VERKAUFEN-Schild.
Es ist weder mein Ziel noch meine Aufgabe, hier meine eigenen Werke zu behandeln, aber Leser, die damit vertraut
sind, werden wissen, daß ich den Archetyp des Ortes des
Bösen selbst zweimal verwendet habe, einmal nebenbei (in ‘Salem’s Lot) und einmal direkt (in The Shining). Mein Interesse an dem Thema begann, als ein Freund und ich es uns in
den Kopf gesetzt hatten, das lokale »Spukhaus« zu erforschen - ein verfallenes Herrenhaus in der Deep Cut Road in
meiner Heimatstadt Durham, Maine. Dieses Haus wurde,
wie bei verlassenen Wohnstätten nicht unüblic h, nach dem
Namen des letzten Bewohners genannt. In der Stadt hieß es
nur das Marsten-Haus.
Das baufällige Anwesen stand auf einem Hügel, der so
hoch war, daß er einen Großteil unseres Stadtteils überblickte - ein Stadtteil, der als Methodist Corners bekannt
war. Es war voll von faszinierendem Plunder-Arzneiflaschen
ohne Etikett, die immer noch seltsame und übelriechende
Flüssigkeiten enthielten, Stapel schimmliger Zeitschriften
( JAPSEN KOMMEN IN iwo AUS IHREN RATTENLÖCHERN ! verkündete die Schlagzeile einer vergilbten Ausgabe von Argosy), ein Klavier mit mindestens fünfundzwanzig toten Tasten, Gemälde mit Porträts längst verstorbener Leute, deren Augen
einem zu folgen schienen, rostiges Tafelsilber, ein paar Möbelstücke.
Die Tür war verschlossen, und ein BETRETEN VERBOTEN -
Schild war daran genagelt worden (so alt und verblichen, daß
man es kaum noch lesen konnte), aber das hielt uns nicht auf;
solche Sachen halten von sich überzeugte Zehnjährige selten
auf. Wir gingen einfach durch ein unverschlossenes Fenster
hinein.
Nachdem wir das Erdgeschoß gründlich erforscht (und uns
vergewissert hatten, daß die altmodischen Schwefelhölzer,
die wir in der Küche gefunden hatten, nicht mehr brannten,
sondern nur noch einen üblen Geruch erzeugten), gingen wir
nach oben. Wir wußten nicht, daß mein Bruder und mein
Cousin, zwei und vier Jahre älter als mein Freund und ich,
uns nachgeschlichen waren. Als wir beide das obere Schlafzimmer durchsuchten, spielten sie gräßlich mißtönende Akkorde auf dem Klavier unten im Wohnzimmer.
Mein Freund und ich schrien und hielten uns gegenseitig
fest - einen Augenblick lang war unser Entsetzen vollkommen. Dann hörten wir die beiden Dummköpfe unten lachen
und grinsten uns beschämt an. Es gab nichts weiter zu fürchten, nur ein paar ältere Jungs, die ein paar jüngere erschreckt
hatten, wie der alte irische »Gottseibeiuns«. Nein, nichts zu
fürchten, aber ich kann mich nicht erinnern, daß wir jemals
wieder hingegangen sind. Sicher nicht nach Einbruch der
Dunkelheit. Es hätten … Dinge dort sein können. Und das
war eigentlich nicht einmal ein richtiger Ort des Bösen.
Jahre später las ich einen spekulativen Artikel, der die
These aufstellte, daß die sogenannten »Spukhäuser« in Wahrheit psychische Batterien sein könnten, welche die Emotionen absorbierten, die dort abgegeben worden waren, sie so
absorbierten, wie eine Autobatterie eine elektrische Ladung
absorbieren kann. Der Artikel führte weiter aus, daß die Erscheinungen, die wir »Spuk« nennen, in Wirklichkeit eine Art
paranormaler Filmvorführung sein könnten - die Ausstrahlung alter Stimmen und Bilder, welche Teil vergangener Ereignisse sein könnten. Und die Tatsache, daß viele Spukhäuser gemieden werden und den Ruf haben, Orte des Bösen zu
sein, könnte darauf zurückzuführen sein, daß die stärksten
Emotionen die primitiven sind -Wut und Haß und Angst.
Ich akzeptiere die Theorie dieses Artikels nicht als Evangelium der Wahrheit - ich bin der Überzeugung, daß ein
Schriftsteller, der sich in seiner Literatur mit übersinnlichen
Phänomenen beschäftigt, die Aufgabe hat, diese respektvoll,
aber nicht mit blindem Glauben zu behandeln -, aber ich
fand die Vorstellung interessant, einmal wegen der Vorstellung als solcher, zum anderen, weil sie eine vage, aber faszinierende Referenz zu meiner eigenen Überzeugung bildete:
daß die Vergangenheit tatsächlich ein Gespenst ist, das unser
derzeitiges Leben ununterbrochen heimsucht. Und infolge
meiner streng methodistischen Erziehung fing ich an mich zu
fragen, ob man das Spukhaus nicht als ein Symbol für ungesühnte Sünden betrachten konnte …, ein Einfall, der
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