Danse Macabre
dort hineinzugehen, vermuten wir) nicht im Zustand absoluter Realität; daher träumt es nicht; daher ist es nicht bei
geistiger Gesundheit. Und es tötet offenbar.
Präsentiert uns Shirley Jackson eine Geschichte - eine Art
übernatürliche Herkunft - als Ausgangspunkt, zeigt uns
Anne Rivers Siddons die Herkunft selbst.
The House Next Door ist lediglich, gemäß der Ich-Erzählerin Colquitt Kennedy, die mit ihrem Mann Walter neben
einem Spukhaus wohnt, ein Roman. Wir werden Zeuge, wie
sich ihr Leben und ihre Denkweise als Folge ihrer Nähe zu
dem Haus verändern, und der Roman etabliert sich schließlich, als Colquitt und Walter sich veranlaßt sehen, in die Geschichte »hineinzutreten«. Das geschieht sehr zufriedenstellend auf den letzten fünfzig Seiten des Buches, aber im Großteil des Buches sind Colquitt und Walter Nebenfiguren. Das
Buch ist in drei längere Teile unterteilt, jeder ist im Grunde
genommen eine Geschichte in sich. Wir erfahren die Geschichten der Harralsons, der Sheehans und der Greenes,
und wir sehen das Haus nebenan weitgehend durch ihre Erfahrungen. Mit anderen Worten, während The Haunting of
Hill House uns seine übernatürliche Herkunft lediglich als
Hintergrundmaterial präsentiert - zum Beispiel die Braut,
deren Kutsche umkippt und sie, Sekunden bevor sie Hill
House zum ersten Mal sehen soll, tötet -, könnte man The
House Next Door den Untertitel »Die Entstehung eines Spukhauses« geben.
Diese Vorgehensweise gelingt Mrs. Siddons ausgezeichnet,
die zwar nicht dem in seiner Einfachheit betörenden Prosastil
von Mrs. Jackson schreibt, sich aber dennoch tapfer und mit
allen Ehren schlägt. Das Buch ist sorgfältig geplant und weist
eine brillante Besetzung auf (»Leute wie wir kommen nicht in
die Zeitschrift People, lautet der erste Satz des Buches, und
dann fährt Colquitt fort, uns zu schildern, wie sie und ihr
Mann, zwei zurückgezogene Menschen, nicht nur in der Zeitschrift People landeten, sondern von ihren Nachbarn gemie den und von Grundstücksmaklern der Stadt gehaßt wurden,
und wie sie letztlich bereit waren, das Haus nebenan niederzubrennen). Es handelt sich nicht um ein gotisches Gemäuer
in wallenden Nebelschwaden vom Moor; es gibt keine Zinnen, keine Erker, nicht einmal einen einsamen Weg … Wer
hätte in den Vororten von Atlanta auch je von so etwas gehört? Als die Geschichte anfängt, ist das Spukhaus noch nicht
einmal erbaut.
Colquitt und Walter leben in einem der reichen und sicheren Vorortstadtteile von Atlanta. Die Maschinerie des gesellschaftlichen Verkehrs in diesem Vorort - dem Vorort einer
neuen Stadt des Südens, wo viele Werte des alten Südens
noch Gültigkeit haben, sagt uns Colquitt - läuft geschmiert,
lautlos und mit Geld gut geölt. Neben ihrem Haus befindet
sich ein Waldstück, das wegen seiner schwierigen Topographie niemals zu Bauland gemacht worden ist. Auftritt Kim
Dougherty, ein junger hitzköpfiger Architekt; er baut ein zeitgenössisches Haus auf dem Gelände, das wie ein Handschuh
auf den Bauplatz paßt. Tatsächlich sieht es fast … lebendig
aus. Colquitt beschreibt, wie sie die Baupläne des Hauses
zum ersten Mal sieht:
Ich sog den Atem ein. Es war grandios. Mir liegt wenig an
zeitgenössischer Architektur, aber … Dieses Haus war anders. Irgendwie befehligte es einen, es beruhigte einen. Es
wuchs aus der aufgeworfenen Erde wie ein Elementargeist, der endlose Zeiträume lang sehnsüchtig eingesperrt
im Boden gelegen und auf seine Freilassung gewartet
hatte.(…) Ich konnte mir die Hände und Maschinen kaum
vorstellen, die es erbauen sollten. Ich dachte an etwas, das
mit einem Saatkorn angefangen und tiefe Wurzeln geschlagen hatte, das in Sonne und Regen vieler Jahre hochgewachsen war. Auf den Bauzeichnungen jedenfalls drängte
sich der Wald unberührt an es heran, wie ein Gefährte. Der
Bach umschlang seine Masse und schien seine Wurzeln zu
nähren. Es sah - unvermeidlich aus.
Die Ereignisse nehmen ihren gewohnten Lauf. Dionysische
Veränderungen kommen über den apollinischen Vorort, wo
bisher ein Platz für alles gewesen ist und alles seinen Platz gehabt hat. Als Colquitt in dieser Nacht eine Eule auf dem Waldgrundstück schreien hört, wo bald das Haus entstehen soll,
bindet sie einen Knoten in einen Zipfel ihres Bettlakens, um
Unglück abzuwenden, wie ihre Großmutter es getan hat.
Dougherty baut das Haus für ein junges Paar, die Harralsons (aber er hätte es genausogerne für Adolf Hitler und Eva
Braun gebaut, verrät er den
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