Danse Macabre
Rückenprägung
finden.
Mein Gott, wir sind schon wieder abgeschweift. Nun, das
macht nichts; ich glaube, ich wollte eigentlich schlicht und
einfach sagen, Finneys Behauptung, The Body Snatchers sei
lediglich eine Geschichte, ist richtig und falsch zugleich.
Meine eigene Überzeugung, was Literatur anbelangt, die ich
schon lange und aufrichtig hege, ist die, daß die Geschichte
vor allem anderen kommen muß; die Geschichte definiert Literatur, und alle anderen Betrachtungen-Thema, Stimmung,
Ton, Symbolik, Stil, sogar Charakterisierung - sind entbehrlich. Es gibt Kritiker, die heftig gegen diese Betrachtungsweise der Literatur eingestellt sind, und ich glaube wirklich,
daß es Kritiker sind, die sich wohler fühlen würden, wenn Moby Dick eine Doktorarbeit über Walfischforschung wäre
und nicht ein Bericht über die le tzte Fahrt der Pequod. Eine
Million Examensarbeiten haben diese Geschichte zu einer
Doktorarbeit erniedrigt, aber die Geschichte bleibt dennoch
bestehen. - »Dies ist Ishmael widerfahren.« Und eine Geschichte bleibt auch in Macbeth, The Faerie Queen, Pride and
Prejustice, Jude the Obscure, The Great Gatsby … und Jack
Finneys The Body Snatchers. Und eine Geschichte bleibt,
Gott sei Dank, nach einem bestimmten Punkt unreduzierbar,
geheimnisvoll und entzieht sich jeder Analyse. Sie werden in
keiner Bibliothek eine Examensarbeit in Englisch mit dem
Titel »Story-Elemente in Melvilles Moby Dick« finden. Und
sollten Sie doch eine finden, dann schicken Sie sie mir. Ich
esse sie. Mit A-1-Steaksauce.
Alles schön. Doch glaube ich nicht, Finney würde der
These widersprechen, daß die Ecksteine einer Geschichte
von dem Verstand bestimmt werden, der sie filtert, und daß
der Verstand eines jeden Schriftstellers Produkt seiner äußeren Welt und seines inneren Temperaments ist. Es ist einzig
die Tatsache dieses Filters, welche denTisch für alle angehenden Doktoren englischer Sprache gedeckt hat, und ich
möchte nicht, daß Sie den Eindruck gewinnen, ich würde
ihnen ihre Titel neiden - weiß Gott mit Englisch als Hauptfach habe ich soviel Scheiße geschrieben, daß man das ganze
östliche Texas damit düngen könnte -, aber eine große Zahl
dieser Leute, die am langen und ächzenden Tisch des Englischunterrichts sitzen, schneidet jede Menge unsichtbare
Steaks und Rostbraten …, ganz zu schweigen davon, daß sie
des Kaisers neue Kleider fröhlich beim größten akademischen
Flohmarkt, den die Welt je gesehen hat, hin und her verkauft.
Nun, wir haben hier einen Roman von Jack Finney, und wir
können einige Dinge darüber sagen, eben weil es ein Roman
von Jack Finney ist. Zunächst einmal können wir sagen, daß
alles auf einer absoluten Wirklichkeit basiert - einer nüchternen Wirklichkeit, die anfangs fast langweilig ist. Als wir den
Helden des Buches zum ersten Mal sehen (ich glaube, Finney
würde an dieser Stelle Einspruch erheben, wenn ich das formellere Wort Protagonist benützen würde …, also werde ich
es nicht tun), begleitet er - Dr. Miles Brendell - seinen letzten
Patienten des Tages hinaus; einen verstauchten Daumen.
Becky Driscoll kommt herein - na, ist das kein perfekter,
durch und durch amerikanischer Name? - und bringt den ersten Mißton: Ihre Cousine Wilma hat irgendwie die Vorstellung entwickelt, daß ihr Onkel Ira gar nicht mehr ihr Onkel
ist. Aber dieser Ton ist leise und unter den simplen Melodien
des Kleinstadtlebens, die Finney in den Anfangskapiteln des
Buches so gekonnt spielt, kaum hörbar …, und Finneys Behandlung des Kleinstadt-Archetyps in diesem Buch dürfte
die beste der fünfziger Jahre überhaupt sein.
Die Schlüsselnote, die Finney in diesen ersten Kapiteln anschlägt, ist so leise und angenehm, daß sie in weniger sicheren
Händen geistlos werden würde: nett. Immer wieder kehrt
Finney zu diesem Wort zurück; in Santa Mira, sagt er uns,
sind die Dinge nicht großartig, nicht wild und ausgelassen,
nicht schrecklic h und nicht langweilig. In Santa Mira sind die
Dinge nett. Niemand hier leidet unter dem alten chinesischen
Fluch: »Mögest du in interessanten Zeiten leben.«
»Ich sah ihr Gesicht zum ersten Mal wieder richtig. Es war
dasselbe nette Gesicht …« Das stammt von Seite neun. Ein
paar Seiten später: »Es war nett draußen, die Temperatur lag
um achtzehn Grad, und das Licht war gut; (…) immer noch
reichlich Sonne.«
Cousine Wilma ist also nett, wenn auch schlicht. Miles ist
der Meinung, sie hätte eine gute Ehefrau und Mutter abgegeben, aber sie hat
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