Danse Macabre
Bradbury diese
Belange der Kindheit und kommt zu dem Ergebnis, daß nur
Kinder geeignet sind, mit den Mythen und Schrecken und
Freuden der Kindheit fertig zu werden. In seiner in der Mitte
der fünfziger Jahre entstandenen Story »The Playground«
(dt: »Das Sieb und der Sand«) wird ein Mann, der auf magische Weise in die Kindheit zurückkehrt, in eine Welt wahnsinnigen Horrors katapultiert, die aber eigentlich nur aus dem
Spielplatz mit seinen Sandkästen und der schlüpfrigen Schaukel besteht.
In Something Wicked This Way Comes verbindet Bradbury
dieses Motiv der Kindheit in der amerikanischen Kleinstadt
mit den meisten Gegebenheiten des modernen amerikanischen Schauerromans, die wir schon mit einiger Ausführlichkeit behandelt haben. Will und Jim sind eigentlich okay, im
Grunde genommen sind sie apollinisch, reisen behaglich in
ihrer Kindheit und sind daran gewöhnt, die Welt aus ihrer geringeren Größe zu betrachten. Aber als Miß Foley, ihre Lehrerin, in die Kindheit zurückkehrt - das erste Opfer des Jahrmarkts in GreenTown -, betritt sie eine Welt monotonen, endlosen Schreckens, die sich von der, welche der Protagonist in
»The Playground« erlebt, nicht sehr unterscheidet. Die Jungs
finden Miß Foley - oder was von ihr übrig ist - unter einem
Baum.
Dort kauerte ein kleines Mädchen, das Gesicht in ihren
Händen, und sie weinte, als sei die Stadt vom Erdboden
verschwunden, mitsamt allen Menschen, und als hätte sie
sich im furchtbaren Wald verirrt.
Endlich schob sich auch Jim heran, blieb am Rand der
Schatten stehen und fragte: »Wer ist es denn?«
»Das weiß ich nicht.« Doch Will spürte, wie ihm Tränen in
die Augen schössen. Etwas in ihm ahnte es.
»Das ist doch nicht etwa Jenny Holdridge, wie?«
»Nein.«
»Jane Franklin?«
»Nein.« Seine Zunge war wie betäubt, sie bewegte sich
mühsam zwischen gefühllosen Lippen. »Nein …«
Das kleine Mädchen weinte, fühlte die Nähe der beiden
Jungen, blickte aber nicht auf.
»Ich … ich … helft mir doch … keiner … keiner will mir
helfen. Mir … mir … ich mag das nicht. (…) Jemand muß
mir helfen … jemand muß ihr helfen …«, murmelte sie in
einemTon, als trauere sie um jemanden. »Jemand muß ihr
helfen … aber keiner tut’s … keiner hat ihr geholfen … ihr
wenigstens, wenn schon nicht mir … schrecklich …«
Die »Attraktion« des Jahrmarkts, die diesen bösen Trick bewerkstelligt hat, ist eine, die sowohl Narziß wie auch Eleanor
Vance kennen: Miß Foley ist im Spiegelkabinett des Jahrmarkts gefangen, von ihrem eigenen Spiegelbild eingesperrt.
Vierzig oder fünfzig Jahre wurden ihr unter den Füßen weggezogen, und sie ist in ihre eigene Kindheit zurückgerutscht …, genau das, was sie sich eigentlich gewünscht
hatte. An die Möglichkeit des namenlosen, unter einem
Baum weinenden kleinen Mädchens hatte sie nicht gedacht.
Jim und Will entgehen diesem Schicksal - mit knapper Not
- und können Miß Foley bei ihrem ersten Ausflug ins Spie gelkabinett sogar retten. Man vermutet, daß es nicht das Kabinett selbst war, das die Rückversetzung in der Zeit bewerkstelligt hat; die Spiegel im Kabinett zeigen uns eine Zeit, die
man, wie man selbst meint, gerne wiederhaben möchte, und
das Karussell selbst führt sie herbei. Das Karussell macht
einen mit jeder Vorwärtsdrehung ein Jahr älter und mit jeder
Rückwärtsdrehung ein Jahr jünger. Das Karussell ist Bradburys interessante und funktionierende Metapher für alle Reisen des Lebens selbst, und die Tatsache, daß er diese Fahrt,
die häufig mit den sonnigsten Freuden verbunden wird, die
wir als Kinder kennen, dunkler macht, läßt einen an andere
unangehme Assoziationen denken. Wenn wir das unschuldige
Karussell mit seinen springenden Pferden in diesem bösen
Licht sehen, dann könnte es uns andeuten, daß die Drehung
eines jeden Jahres im Grunde genommen stets dieselbe ist,
wenn wir das Verrinnen der Zeit mit einer Karussellfahrt vergleichen; vielleicht ruft es uns ins Gedächtnis zurück, wie vergänglich und kurz eine solche Fahrt ist; am meisten jedoch
erinnert es uns, daß der Messingring, nach dem wir alle so angestrengt und vergeblich greifen, absichtlich außerhalb unserer Reichweite gehalten wird.
Im Licht des neuen amerikanischen Schauerromans ist uns
klar, daß das Spiegelkabinett eine Falle ist, ein Ort, wo zuviel
Selbstbetrachtung und morbide Introspektion Miß Foley
dazu bewegen, die Grenze zum Abnormalen zu überschreiten. In Bradburys Welt - der Welt von Cooger and
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