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Danse Macabre

Danse Macabre

Titel: Danse Macabre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Bradbury die beiden
Hälften von sich selbst teilt. Will Halloway ist der »gute«
Junge (nun, beide sind gut, aberWills Freund Jim weicht eine
Zeitlang vom Weg ab), er wird am 30. Oktober eine Minute
vor Mitternacht geboren. Jim Nightshade kommt zwei Minuten später zur Welt …, eine Minute nach Mitternacht am Halloweenmorgen. Will ist apollinisch, ein Wesen mit Vernunft
und Zielstrebigkeit, er glaubt (größtenteils) an den Status
quo und die Norm. Jim Nightshade ist, wie schon sein Name
andeutet, die dionysische Hälfte, ein Geschöpf der Emotionen, das etwas von einem Nihilisten hat, immer auf Zerstörung aus und bereit ist, dem Teufel ins Gesicht zu spucken,
um zu sehen, ob die Spucke dampft und zischt, während sie
die Wange des Dunklen Lords herabrinnt. Als am Anfang von
Bradburys wundersamer Geschichte der Blitzableiterverkäufer in die Stadt kommt (»kurz vor dem Gewitter«) und den
Jungs erzählt, daß der Blitz in Jims Haus einschlagen wird,
muß Will ihn dazu überreden, den Blitzableiter zu installie ren. Jims erste Reaktion ist: »Warum soll ich uns den ganzen
Spaß verderben?«*
    Die Symbolik der Geburtszeiten ist deutlich, grob und offensichtlich; ebenso die Symbolik des Blitzableitervertreters,
der als Vorbote schlimmer Zeiten erscheint. Bradbury zieht
beides dennoch durch, wahrscheinlich aus reiner Furchtlosigkeit. Er verteilt seine Archetypen groß, wie die Karten beim
Bridge.
    In Bradburys Geschichte kommt ein uralter Zirkus mit
dem erstaunlichen Namen Cooger and Dark’s Pandemonium
Shadow Show in die Stadt GreenTown und bringt Elend und
Schrecken in der Verkleidung von Freude und Wunder. Will
Halloway und Jim Nightshade - und später auch Wills Vater
Charles - finden heraus, was genau dieser spezielle Jahrmarkt will. Die Geschichte läuft letztendlich auf den Kampf
um eine einzige Seele hinaus, nämlich die von Jim Night
    * Dieses und die nachfolgenden Zitate wurden der deutschen Ausgabe Das Böse kommt auf leisen Sohlen, Hamburg und Düsseldorf 1969,
entnommen.
(Anm.d.Übers.)
    shade. Es wäre falsch, sie eine Allegorie zu nennen, aber sie
eine moralische Horror-Geschichte zu nennen - in der Art
der E.-C.-Horror-Geschichten, die ihr vorausgingen -, wäre
vollkommen richtig. Was Jim und Will zustößt, unterscheidet
sich wenig von Pinocchios Abenteuern auf der Vergnügungsinsel, wo Jungs, die sich ihren weltlicheren Neigungen hingeben (zum Beispiel Zigarren rauchen und Alkohol trinken), in
Esel verwandelt werden. Bradbury schreibt hier von sinnlichen Verführungen - nicht nur sexuellen Verführungen, sondern Sinnlichkeit in ihren breitesten Formen und Erscheinungen -, von der Lust des Fleisches, die ebenso ungezügelt ist
wie die tätowierten Illustrationen, die Mr. Darks Körper bedecken.*
    Was Bradburys Roman davor bewahrt, einfach nur eine
»alptraumhafte Allegorie« oder ein vereinfachendes Märchen zu sein, ist der Einsatz von Handlung und Stil. Bradbu
    * Die einzige Anspielung auf sexuelle Sinnlichkeit findet sich in der
Szene mit demTheater, und Bradbury weigerte sich leider, sich in seinem
Brief mit mir darüber zu unterhalten, wenngleich ich ihn gebeten hatte,
ob er sie mir freundlicherweise ein wenig genauer erklären könnte. Es ist
und bleibt eine der aufreizendsten Szenen des Buches. Jim undWill entdecken dasTheater, sagt Bradbury, im obersten Stock eines Hauses, während sie »nach den sauersten Äpfeln in die höchsten Wipfel kletterten«.
Bradbury verrät uns, daß der Blick in dasTheater alles veränderte, einschließlich des Geschmacks der Früchte. Ich neige nun dazu, wie ein
Pferd, das von Alkali vergiftetes Wasser riecht, beim ersten Anzeichen
akademischer Analyse zu scheuen, doch die Apfel-und-Eden-Metapher
hier ist so stark, daß man sie nicht leugnen kann. Was genau spielt sich in
diesem Zimmer im zweiten oder dritten Stock ab, diesem »Theater«, das
den Geschmack der Äpfel so sehr verändert hat und das Jim mit dem
dunklen Namen und seinen Freund, dessenTaufname so sehr mit unserer
angeblichen Fähigkeit (unserer angeblich christlichen Fähigkeit) assoziiert wird, in jeder gegebenen Situation bewußt über das Gute zu befehlen, so sehr fasziniert? Bradbury deutet an, daß dasTheater ein Zimmer
in einem Bordell ist. Die Menschen im Innern sind nackt; »wo die Leute
Hemden über die Köpfe zogen, Kleidungsstücke auf den Teppich fallen
ließen, und nackt wie Tiere dastanden, die Hände nacheinander ausgestreckt«. Wenn ja, so ist dies der deutlichste Schatten der

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