Danse Macabre
unmöglich entkommen
kann. Horror spricht uns an, weil er auf symbolische Art
Dinge sagt, die unverblümt auszusprechen wir nicht wagen
würden; er bietet uns die Möglichkeit, Emotionen zu exerzieren (ganz recht; nicht exorzieren, sondern exerzieren), von
denen die Gesellschaft verlangt, daß wir sie für uns behalten.
Der Horror-Film ist eine Einladung, sich stellvertretend in
trotzigem, antisozialem Verhalten zu ergehen
- abscheuliche
Gewalttaten zu begehen, unseren infantilen Machtphantasien nachzugehen, uns unseren geheimsten Ängsten zu ergeben. Die Horror-Story oder der Horror-Film sagt vielleicht
mehr als alles andere, daß es schon in Ordnung ist, uns zum
Mob zu gesellen, zum völligen Stammeswesen zu werden,
den Fremden zu vernichten. Das wurde niemals besser oder
direkter gestaltet als in Shirley Jacksons Kurzgeschichte »The
Lottery« (dt: »Die Lotterie«), wo das ganze Konzept des
Fremden symbolisch ist und durch nichts weiter erzeugt wird
als einen schwarzen Kreis, der auf ein Stück Papier gemalt
wurde. Aber der Hagel von Steinen am Ende der Geschichte
enthält keine Symbolik; das Kind der Heldin nimmt ebenfalls
teil, während das Opfer stirbt und schreit: »Es ist nicht fair!
Es ist nicht recht!«
Und es ist auch nicht zufällig, daß die Horror-Story so haufig mit einer an O. Henry gemahnenden Wendung endet, die
direkt in den Minenschacht hinabführt. Wenn wir uns dem
grusligen Film oder dem schauerlichen Buch zuwenden,
dann haben wir nicht unsere »Alles-wird-sich-zum-Besten\venden«-Hüte auf. Wir warten darauf, daß uns gesagt wird, w as wir so oft vermuten - daß alles beschissen endet. In den
meisten Fällen liefert die Horror-Story hinreichend Beweise
dafür, daß das tatsächlich so ist, und ich glaube nicht, daß jemand wirklich überrascht ist, wenn Katharine ROSS am Ende
von The Stepford Wives (dt: Die Frauen von Stepford) dem
Männerverein aus Stepford zur Beute fällt oder wenn der heroische Farbige am Ende von Night of the Living Dead (dt: Die Nacht der lebenden Toten) von dem kreuzdummen Sheriff
erschossen wird. Das gehört, wie man so sagt, einfach zum
Spiel dazu, ist Teil davon.
Und Monstrosität? Wie ist es mit diesem Teil des Spiels?
Wie können wir das in den Griff bekommen? Wenn wir schon
nicht definieren, können wir dann wenigstens exemplifizieren? Hier kommt eine verdammt explosive Ladung, meine
Freunde.
Was ist mit den Freaks im Zirkus? Den scheußlichen Mißbildungen, die im Licht von kahlen Hundert-Watt-Birnen betrachtet werden? Was ist mit Cheng und Eng, den berühmten
siamesischen Zwillingen? Zu ihrer Zeit wurden sie von der
Mehrheit ihrer Mitmenschen als Monstrositäten betrachtet,
und zweifellos betrachteten noch viel mehr Leute die Tatsache, daß jeder von ihnen sein eigenes Eheleben führte, als
noch viel monströser. Amerikas bissigster - und manchmal
komischster - Karikaturist, ein Bursche namens Rodrigues,
hat sich in seinem »Aesop Brothers«-Strip im National Lampoon mit dem Thema siamesische Zwillinge beschäftigt, wo
wir mit den Nasen auf praktisch jeden bizarren Auswuchs des
Lebens der auf ewig miteinander Verbundenen gestoßen wurden: Geschlechtsleben, Körperfunktionen, Liebesleben,
Krankheiten. Rodrigues lieferte alles, was man sich über das
Leben von siamesischen Zwillingen schon immer vorgestellt
hatte …, und erfüllte die dunkelsten Erwartungen. Man hat
wahrscheinlich recht, wenn man sagt, daß das alles von sehr
schlechtem Geschmack zeugt, aber das ist und bleibt eine vergebliche und fruchtlose Kritik - der alte National Enquirer brachte Bilder von zerfetzten Opfern von Autounfällen und
Hunden, die fröhlich an abgerissenen Menschenköpfen
knabberten, er machte die Grausamkeit zum Geschäft, ehe
er in die stilleren Strömungen des amerikanischen Mainstream abglitt.* Was ist mit den anderen Jahrmarktsfreaks?
Kann man sie als Monstrositäten einstufen? Zwerge? Liliputaner? Die bärtige Frau? Die dicke Frau? Das menschliche
Skelett? Das eine oder andere Mal waren die meisten von uns
schon einmal dort, standen auf dem gestampften, mit Sägemehl bedeckten Boden, mit einer Chiliwurst oder einer
süßen Zuckerwatte in der Hand, während der Jahrmarktsschreier uns anlockte. Für gewöhnlich hatte er dabei ein Beispiel dieser menschlichen Abarten zur Probe dabei - die dicke
Frau in ihrem rosa Kinderkleidchen, der tätowierte Mann,
um dessen Hals sich der Schwanz eines Drachen wie eine legendäre Henkersschlinge ringelt, oder der Mann, der Nägel
und
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