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Danse Macabre

Danse Macabre

Titel: Danse Macabre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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wurde, ist Poes »TheTell-Tale Heart«, wo aus reinstem Bösen heraus ein Mord begangen wird, ohne irgendwelche mildernde Umstände, die die Tat beschönigen könnten.
Poe deutet an, daß wir seinen Erzähler verrückt nennen müssen, weil wir immer annehmen müssen, daß ein so vollkommenes, motivloses Böses verrückt ist - um unserer eigenen
geistigen Gesundheit willen.
    Horror-Romane und -Stories, die sich mit dem »äußeren
Bösen« beschäftigen, sind häufig schwerer ernst zu nehmen;
meistens sind sie nicht mehr als verkleidete Jungenabenteuer, und am Ende werden die widerlichen Invasoren aus
dem Weltall zurückgeschlagen; oder der Schöne Junge Wissenschaftler kommt in allerletzter Sekunde mit der Lösung
des Problems daher …, wie etwa Peter Graves in Beginning
of the End eine riesige Ultraschallkanone erfindet, die alle
riesigen Grashüpfer in den Michigansee lockt.
    Und dennoch ist das Konzept des äußeren Bösen größer,
ehrfurchtgebietender. Lovecraft hat das verstanden, und
darum sind seine Geschichten von dem gewaltigen, zyklopenhaften Bösen so wirkungsvoll, wenn sie gut sind. Viele sind es
nicht, aber wenn Lovecraft Geld hatte - wie bei »The Dunwich Horror« (dt: »Das Grauen von Dunwich«), »The Rats In
the Walls« (dt: »Die Ratten im Gemäuer«) sowie der besten,
»The Colour Out of Space« (dt: »Die Farbe aus dem All«) -,
sind seine Geschichten von geradezu packender Wucht. Die
besten von ihnen vermitteln uns ein Gefühl des Universums,
in dem wir schweben, und deuten schattenhafte Kräfte an,
die uns allesamt vernichten könnten, wenn sie auch nur im
Schlaf grunzen würden. Schließlich, was ist das blasse innere
Böse der Atombombe verglichen mit Nyarlathotep, dem
Kriechenden Chaos, oder Shub-Niggurath, der Ziege mit
den tausend Jungen?
    Bram Stokers Dracula ist für mich eine herausragende Leistung, weil dort das Konzept des äußeren Bösen vermenschlicht wird; wir begreifen es auf eine vertraute Weise, die Lovecraft niemals zuließ, und wir können seine Beschaffenheit
spüren. Es ist eine Abenteuergeschichte, aber sie verkommt
niemals zu dem Niveau von Edgar Rice Burroughs oder Varney the Vampyre (dt: Varney der Vampir).
    Stoker erreicht diesen Effekt zu einem großen Teil dadurch, daß er das Böse den größten Teil seiner langen Geschichte hindurch buchstäblich draußen hält. In den ersten
vier Kapiteln ist der Graf fast ununterbrochen auf der Bühne,
duelliert sich mit Jonathan Harker, drückt ihn langsam an die
Wand (»Ich verspreche euch, daß (…) ihr ihn nach Gefallen
küssen könnt«*, hört Harker ihn zu den drei unheimlichen
Schwestern sagen, während er, Harker, halb darniederliegt) …, und dann verschwindet er fast die ganzen ungefähr
dreihundert Seiten des Romans, die noch verbleiben.** Das
* Dieses und die nachfolgenden Zitate wurden der deutschen Ausgabe Dracula. Ein Vampirroman, München 1967, entnommen.
    (Anm.d.Übers.)
** Der Graf erscheint noch einige Male auf der Bühne, am eindrucksvollsten im Schlafzimmer von Mina Murray Harker. Die Männer in
ihrem Leben platzen nach dem Tod Renfields in ihr Gemach und
    ist einer der bemerkenswertesten und wirkungsvollsten
Tricks der englischen Literatur, ein trompe l’oeil, der kaum jemals wieder erreicht worden ist. Stoker erschafft sein furchteinflößendes, unsterbliches Monster ebenso, wie ein Kind
den Schatten eines riesigen Kaninchens erzeugen kann,
indem es einfach die Finger vor einem Licht bewegt.
    Der Graf scheint vollkommen prädestiniert zu sein; dieTatsache, daß er mit seinen »wimmelnden Millionen« nach London gekommen ist, folgt nicht der bösenTat eines sterblichen
Wesens. Harkers Prüfung auf Schloß Dracula ist nicht die
Folge einer inneren Sünde oder Schwäche; er steht an des
Grafen Tür, weil sein Boß es von ihm verlangt hat. Ebenso ist
der Tod von Lucy Westenra kein verdienter Tod. Ihre Begegnung mit Dracula auf dem Friedhof von Whitby ist das moralische Äquivalent dazu, wenn man beim Golf spielen vom
Blitz getroffen wird. Nichts in ihrem Leben rechtfertigt das
Ende, das ihr Van Helsing und ihr Verlobter, Arthur Holmwood, bereiten - sie spalten ihr Herz mit dem Pfahl, schneiden ihr den Kopf ab und stopfen ihr den Mund mit Knoblauch
voll.
    Es ist nicht so, daß Stoker das innere Böse oder das Konzept des freien Willens nicht kennen würde; in Dracula wird
dieses Konzept vom packendsten aller Verrückten verkörpert, Mr. Renfield, der gleichzeitig den Ursprung des Vampirismus verkörpert -

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