Danse Macabre
halten, und wir spüren Victor Frankensteins Horror und Abscheu gegenüber der unbarmherzigen Kreatur aus Gebeinen, die er geschaffen hat.
Auf der anderen Seite erkennen wir die Unschuld der Kreatur und die Tatsache, daß die Verfasserin in ihre Tabula rasa Vorstellung vernarrt ist.
Das Monster erwürgt Henry Clerval und verspricht Frankenstein, ihn »in der Hochzeitsnacht zu besuchen«, aber das
Monster ist auch ein Geschöpf kindlichen Vergnügens und
Staunens, das das »strahlende Gebilde« des Mondes bewundert, der über die Bäume steigt; er bringt der armen Bauernfamilie wie ein guter Geist in der Nacht Brennholz; er ergreift
die Hand des alten, blinden Mannes, sinkt auf die Knie und
fleht ihn an: »Nun ist’s an der Zeit! Schützet mich und steht
mir bei! … Oh, verlaßt mich nicht in der Stunde meiner Prü
* »Der olle Grünhaut is’ wieder da«, pflegt mein siebenjähriger Sohn
Joe glücklich zu sagen, wenn David Banner seine hemdenzerreißende
und hosensprengende Verwandlung beginnt. Joe sieht Hulk ganz zutreffend nicht als furchteinflößenden Vertreter des Chaos, sondern als
blinde Kraft der Natur, deren Schicksal es ist, Gutes zu tun. Seltsamerweise ist die tröstliche Botschaft, die viele Horror-Filme der Jugend zu
bringen scheinen, die, daß das Schicksal gütig ist. Keine schlechte Lektion für die Kleinen, die sich auf diese Weise zu Recht als Geißeln von
Kräften zu sehen lernen, die größer als sie selbst sind.
fung!« Die Kreatur, die den rotznäsigen William erwürgt, ist
dieselbe Kreatur, die ein kleines Mädchen vor dem Ertrinken
rettet … und für ihre Mühe mit einer Ladung Schrot in den
Arsch belohnt wird.
Mary Shelley ist - beißen wir in den sauren Apfel und sagen
die Wahrheit - keine besonders gute Verfasserin emotionaler
Prosa (das ist der Grund, weshalb Studenten, die sich mit den
großen Erwartungen eines schnellen und blutrünstigen Lesegenusses an das Buch heranmachen - Erwartungen, die von
den Filmen geweckt wurden -, meist verwirrt sind und sich
betrogen fühlen). Sie ist da am besten, wo Victor und sein Geschöpf sich wie zwei Harvard-Rhetoriker über das Pro und
Kontro unterhalten, der Kreatur eine Gefährtin zu schaffen das heißt, sie ist am besten im Reich reiner Ideen. Es ist wahrscheinlich ironisch, daß die Facette des Buches, die seine Beständigkeit in der Filmbranche sicherte, darin besteht, daß
Shelley den Leser in zwei Wesen unterschiedlicher Meinung
spaltet: den Leser, der den Mutanten steinigen möchte, und
den Leser, der die Steine spürt und ob der Ungerechtigkeit
aufschreit.
Aber trotzdem hat kein Filmemacher die Idee in ihrer
Ganzheit erfaßt; James Whale kam ihr in seinem stimmungsvollen Bride of Frankenstein wahrscheinlich am nächsten, wo
die existentialistischen Sorgen des Monsters (der junge Werther mit Bolzen durch den Hals) auf ein weltlicheres, aber
emotional kraftvolles Spezifikum reduziert werden: Victor
Frankenstein erschafft die Frau …, aber sie mag das ursprüngliche Monster nicht. Elsa Lanchester, die wie eine moderne Studio-54-Disco-Queen aussieht, schreit auf, als er versucht, sie zu berühren, und unsere ganze Sympathie gilt dem
Monster, als es das verdammte Labor in Stücke schlägt.
In der ursprünglichenTonfilmversion von Frankenstein hat
ein Mann namens Jack Pierce Boris Karloffs Make-up gemacht und ein Gesicht erschaffen, das für die meisten von uns
ebenso vertraut ist wie das von Onkeln und Vettern im Familienalbum (wenn auch etwas häßlicher) - der eckige Kopf, die
kalkweiße, leicht konkave Stirn, die Narben, die Bolzen, die
schweren Lider. Universal Pictures haben sich das Copyright
von Pierces Make-up gesichert, daher mußten Hammer
Films in Großbritannien, als sie in den späten fünfziger und
frühen sechziger Jahren ihre Serie von Frankenstein-Filmen
machten, ein anderes Konzept benützen. Es war wahrscheinlich nicht so inspiriert oder originell wie das Make-up von
Pierce (der Frankenstein von Hammer sieht in den meisten
Fällen dem unglücklichen Gary Conway in I Was a Teenage
Frankenstein ähnlich), aber beide haben eines gemeinsam:
Das Monster ist zwar in beiden Versionen scheußlich anzusehen, aber es hat auch etwas so Trauriges, etwas so Elendes an
sich, daß sich unsere Herzen zu ihm hingezogen fühlen,
wenngleich sie voll Angst und Abscheu davor zurückschrekken.*
Wie ich schon gesagt habe, haben die meisten Regisseure,
die sich an einem Frankenstein-Film versucht haben (mit
Ausnahme derer, die von
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