Danse Macabre
von einem Alptraum angeheizt wurde, in dem »ein
bleicher Student unheilvoller Künste das gräßliche Phantom
eines Menschen erschuf«. Das wurde die Schöpfungsszene in
Kapitel vier und fünf ihres Romans (aus der ich eingangs zitiert habe).
Percy Bysshe Shelley brachte ein Fragment mit dem Titel
»The Assassins« zustande. George Gordon Byron schrieb
eine interessante, makabre Geschichte mit demTitel »The Burial« (dt: »Das Begräbnis«). Aber es ist John Polidori, der
gute Doktor, der manchmal als mögliches Bindeglied zwischen Bram Stoker und Dracula genannt wird. Seine Kurzgeschichte wurde später auf Romanlänge ausgedehnt und
wurde ein großer Erfolg. Sie trug den Titel »The Vampyre«
(dt: »Der Vampyr«).
Tatsächlich ist Pplidoris Roman nicht sehr gut …, und er
hat unbehagliche Ähnlichkeit mit »The Burial«, der Kurzgeschichte, die sein ungleich talentierterer Patient Lord Byron
geschrieben hat. Vielleicht haben wir es hier mit einem Hauch
von Plagiat zu tun. Wir wissen, daß Byron und Polidori kurz
nach der Episode am Genfer See heftig miteinander stritten
und ihre Freundschaft endete. Es ist nicht völlig von der
Hand zu weisen, daß die Ähnlichkeiten ihrer Geschichten
dafür ausschlaggebend waren. Polidori, der einundzwanzig
war, als er »The Vampyre« geschrieben hatte, fand ein unglückliches Ende. Der Erfolg seines Romans, den er aus der
Kurzgeschichte gemacht hatte, ermutigte ihn, den Arztberuf
an den Nagel zu hängen und freier Schriftsteller zu werden.
Als solcher hatte er kaum Erfolg, aber er war ziemlich gut
darin, Spielschulden anzuhäufen. Als er spürte, daß sein Ruf
irreparabel gelitten hatte, verhielt er sich so, wie man es von
einem Engländer seiner Zeit erwarten durfte, und erschoß
sich.
Stokers um die Jahrhundertwende entstandener Roman Dracula hat nur wenig Ähnlichkeit mit Polidoris The Vampyre
- das Genre ist eng abgesteckt, wie wir immer und immer wieder feststellen werden, und die Familienähnlichkeit ist, abgesehen von absichtlichem Plagiat, immer vorhanden -, aber
wir dürfen sicher sein, daß Stoker Polidoris Geschichte gekannt hat. Nachdem man Dracula gelesen hat, glaubt man,
daß Stoker keinen Stein auf dem anderen ließ, als er für sein
Projekt recherchierte. Ist es so weit hergeholt zu denken, daß
er Polidoris Roman gelesen hat, davon begeistert war und beschlossen hat, ein besseres Buch zu schreiben? Ich für meinen
Teil will gerne glauben, daß es so gewesen ist, ebenso wie ich
glauben will, daß Polidori seinen Einfall tatsächlich von
Byron abgekupfert hat. Das würde Lord Byron zum literarischen Großvater des legendären Grafen machen, der sich
schon zu Beginn des Romans Jonathan Harker gegenüber
brüstet, daß er die Türken aus Transsylvanien vertrieben
hat …, und Byron selbst starb, während er im Jahre 1824 die
griechischen Aufständler gegen die Türken unterstützte acht Jahre nach demTreffen mit den Shelleys und Polidori am
Genfer See. Es war ein Tod, der dem Grafen selbst gut gefallen haben würde.
5
Man kann sämtliche Horror-Geschichten in zwei Gruppen
einteilen: diejenigen, in denen der Horror als Folge einer Tat
des freien und bewußten Willens eintritt - einer bewußten
Entscheidung, Böses zu tun-, und jene, in denen der Horror
vorbestimmt ist und wie ein Blitzschlag von außen kommt.
Die klassischste Horror-Geschichte der letzteren Art ist die
Geschichte von Hiob im Alten Testament, der zum menschlichen Spielfeld in einer Art spirituellem Pokalendspiel zwischen Gott und Satan wird.
Die Horror-Geschichten, die psychologischer Natur sind die das Terrain des menschlichen Herzens erkunden -, drehen sich fast immer um das Konzept des freien Willens; »inneres Böses«, wenn Sie so wollen, das wir nicht rechtens Gott
Vater anlasten können. Dies ist Victor Frankenstein, der aus
Leichen teilen ein Lebewesen erschafft, um seine eigene Hybris zu befriedigen, und seine Sünde dann beizulegen sucht,
indem er sich weigert, die Verantwortung für das zu übernehmen, was er getan hat. Es ist Dr. Henry Jekyll, der seinen Mr.
Hyde im Grunde aus der viktorianischen Scheinheiligkeit
heraus erschafft - er möchte imstande sein, über die Stränge
zu schlagen und ausgelassen zu feiern, ohne daß auch nur die
niederste Schlampe aus Whitechapel erfahren soll, daß er
etwas anderes ist als der heilige Dr. Jekyll, dessen Füße »ständig auf dem Aufwärtspfad schreiten«. Möglicherweise die
beste Geschichte über das Böse im Innern, die jemals geschrieben
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